Nr. 27-09 (1999)

Wie wird aus Lieschen ein Bodhisattva?
Die Vielfalt buddhistischer Praxis im Spannungsfeld zwischen Ideal und Wirklichkeit

Nr. 27-09 (1999)

von Cornelia Weißhaar-Günther

Internationale Symposion: Frauen im Buddhismus,
7.-9. Febr. 1997, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main.

Erst einmal, möchte ich mich sehr herzlich für die Einladung hierher bedanken. Mein Name ist Weißhaar – Günther, ich arbeite an der Universität Erlangen als Lehrbeauftragte für Tibetisch und bin ansonsten Übersetzerin und auch praktizierende Buddhistin.

Auf was ich in diesem Vortrag vor allem aufmerksam machen möchte, ist die Laienpraxis, deswegen auch im Titel „Lieschen“. Unter Lieschen verstehe ich einfach eine ganz normale deutsche Frau, die

ganz normal lebt, sei es, daß sie berufstätig ist, sei es, daß sie Kinder hat, wie auch immer, die jetzt Buddhismus praktizieren will und dabei damit rechnen muß, eine ganz unbeachtete Erscheinung zu sein und männliche Lehrer zu haben, denn in der tibetischen Tradition sind weibliche Lehrerinnen bisher eine sehr große Seltenheit. Sie werden es wohl auch für längere Zeit bleiben, weil wir an unsere Lehrer so hohe Anforderungen haben, daß man wohl damit rechnen muß, daß es Generationen dauern wird, bis wir wirklich so weit sind, daß wir Lehrerinnen produzieren können.

Wenn wir die tibetische Tradition anschauen, haben wir wenige Frauen – Vorbilder oder auch Lehrerinnen die prominent waren, wir hatten ja gestern ein Beispiel von einer Frau Rinpoche und auch ich habe eine tibetische Lehrerin unter meinen LehrerInnen, aber es ist selten.

Das heißt aber nicht, daß Frauen in Tibet keine Realisation hatten. Ich glaube sehr wenige Leute wissen was mir schon viele Lehrer erzählt haben, daß viele, ganz unauffällige Hausfrauen oder Yoginis in den Bergen, bei ihrem Tod, ganz starke Anzeichen für Realisation hatten. In der tibetischen Tradition ist das der einzige Moment, in dem man manchmal wirklich sehen kann, daß jemand eine hohe Realisation gehabt hat, eben an der Art wie jemand stirbt, daß er Anzeichen zeigt von Meditation, die ein normaler Mensch nicht zeigen kann.

Diese Frauen waren oft überhaupt nicht auffällig in ihrem Leben und hatten dementsprechend wenig Schüler oder hatten, im Fall von Hausfrauen, vielleicht auch gar keine Schüler und sie haben kaum schriftliche Dinge hinterlassen. Auch die wenigen, in den Bergen praktizierenden Yoginis, hatten oft nur einige, ganz wenige Schüler. Ich weiß z. B. von den heute lebenden Lehrern Namkhai Norbu Rinpoche und Kamatine Rinpoche, daß sie solche Lehrerinnen gehabt haben. Diese haben aber nur ganz, ganz wenige SchülerInnen angenommen, die sie in den Bergen aufgesucht haben. Diese beiden, heute lebenden, männlichen Lehrer, respektieren diese Lehrerinnen sehr.

Im großen und ganzen sind es aber einfach unauffällige Erscheinungen gewesen und ich glaube das für Lieschen allein der Gedanke, daß es diese Frauen in Tibet gegeben hat, eine sehr starke Inspiration sein kann, denn diese Frauen, wo werden die gelernt haben? Wahrscheinlich auch von männlichen Lehrern, so wie wir es machen müssen.

Und jetzt habe ich mir einfach überlegt, wie wird das abgelaufen sein? Welche Belehrungen werden diese Frauen bekommen haben. Da die tibetische Tradition sehr, sehr konventionell ist, was die Weitergabe der Überlieferungen betrifft und sich wirklich bemüht hat möglichst nichts neues zu erfinden, sondern alles so weiterzugeben, wie man es vom eigenen Lehrer gehört hat und weitergegeben und wieder gehört hat, usw. Bei all dem und das über tausend Jahre hinweg, kann man davon ausgehen, daß diese Unterweisungen ziemlich stabil waren und bis auf wenige philosophische Details, wie man mit historischen Untersuchungen der Entwicklungen auch feststellen kann, relativ konstant geblieben sind.

Wenn nun also Lieschen sich entschließt Buddhismus zu lernen, wird das erste, was ihr Lehrer ihr beibringt, in ungefähr das sein, was man in der Kagyü – Tradition, einer der tibetischen Traditionen, als die „vier Gedanken, die dem Geist dem Dharma zuwenden“ bezeichnet. Das bedeutet, der Lehrer wird ihr etwas über das „kostbare Menschendasein“ beibringen, er wird über „Vergänglichkeit und Tod“ sprechen, über Karma und über die Nachteile von Samsara (Kreislauf der Existenzen).

Diese Unterweisungen mögen vielleicht für diejenigen von uns, die Buddhisten sind, banal, einfach erscheinen, sind aber in Tibet tatsächlich schon für fortgeschrittene Praktizierende gedacht. Ein Mensch, der sich nicht speziell für die Praxis interessiert, wird sich damit begnügt haben heilsame Handlungen durchzuführen und so existentielle Fragen, wie z.B. „Vergänglichkeit und Tod“, gar nicht so stark jeden Tag praktiziert oder reflektiert haben.

Es ist also tatsächlich eine relativ fortgeschrittenen Praxis, die zu einer starken inneren Reifung führt, wenn man sich mit diesen Dingen wirklich ernsthaft auseinandersetzt.

Und wenn Lieschen ein Bodhisattva werden will, wie der Titel ja sagt, wenn also Lieschen das große Ideal hat, mal für alle Lebewesen sehr, sehr nützlich zu sein, dann wird sie also damit anfangen müssen erst einmal ganz tiefgründig über ihre eigenen Existenz nachzudenken. Das besondere daran ist, daß man damit auf eine existentielle Basis geführt wird, in der der spezifische persönlich Zustand nicht mehr so wichtig ist. Das bedeutet, daß wir erkennen, daß das „kostbares Menschendasein“, etwas ist, was alle Praktizierenden betrifft, der zweite Punkt, daß wir sterben müssen das betrifft auch alle, Mann, Frau, ganz egal auch wie man sonst geartet sein mag, Karma, das heilsame und unheilsame Handlungen ihre Wirkungen haben, auch das betrifft alle und der Daseinskreislauf in dem gesamten Prozeß von Geburt und Tod betrifft auch alle. Das bedeutet also, wenn man sich damit auseinandersetzt, dann wird man insgesamt auch etwas einfacher strukturiert werden, daß heißt, man wird nicht mehr an bestimmten psychologischen Zuständen so stark klammern. Damit will ich nicht sagen, daß Therapeuten überflüssig werden, aber ich will sagen, daß vielleicht kleinere Probleme dadurch unwichtiger erscheinen und daß man sich auch besonders stark verändern kann, wenn man nicht an bestimmten persönlichen Aspekten festhält. Und dazu gehört auch männlich und weiblich!

Ich zitiere aus einem Text, in dem das letztendliche Ziel als frei von männlich und weiblich beschrieben wird. Hier erscheint dem Shariputra eine Göttin und diese Göttin wird jetzt von Shariputra in typisch männlicher Überheblichkeit gefragt:

„Was hindert dich daran, deinen weiblichen Zustand zu ändern“. Und die Göttin sagt: „Obwohl ich meinen weiblichen Zustand zwölf Jahre lang gesucht habe, habe ich ihn noch immer nicht gefunden. Ehrwürdiger Shariputra, wenn ein Magier eine Frau herbei zauberte, würdest du sie dann fragen, was hindert dich daran, deinen weiblichen Zustand zu ändern?“ Shariputra antwortete: „Nein, denn so eine Frau würde nicht wirklich existieren, also was könnte es geben, was sich ändern ließe?“ und die Göttin sagte: „Genauso, Shariputra, ist es bei allen Dingen“.

Und das bedeutet also, daß das weibliche Element etwas vorübergehendes ist, genauso wie unsere gesamte Konditionierung, die gesamte psychologische Konditionierung. Was aber natürlich nicht heißt, daß wir relativ nicht damit arbeiten müßten. Aber eben diese Gedanken an sich führen uns schon mal einen Schritt weiter und machen uns das alles etwas einfacher und leichter.

In sehr hohen tantrischen Praktiken wird von den Praktizierenden noch mehr verlangt.

Nämlich daß man sich als männlich und weiblich gleichzeitig vorstellt und das auch noch im weiblichsten, bzw. männlichsten Akt, den es überhaupt gibt und man muß fähig sein gleichzeitig beide Aspekte zu verkörpern. Und da zeigt sich, wenn ich übersetze für Lamas, daß da immer Schwierigkeiten kommen. Z.B, daß sich Männer nicht so gerne die weibliche Rolle vorstellen und daß die Frauen Schwierigkeiten haben sich eine Vereinigung mit einer Frau vorzustellen. Das sind aber vorübergehende Dinge, alle die in der Praxis fortschreiten, gewöhnen sich relativ schnell, eigentlich innerhalb von ein paar Wochen daran, dadurch, daß sie sich einfach vor Augen halten, daß das ein momentaner Zustand ist. Und durch die Vorstellung des tiefgründigen, was eigentlich entwickelt werden und angeregt werden soll, ist man dann bereit sich darauf einzulassen.

Wir dürfen nie vergessen, daß es im Buddhismus sehr stark um eine Dekonditionierung geht.

Das also die Aspekte, durch die wir jetzt geprägt und eingeschränkt sind, die auch unsere

ganze Geschichte ausmacht, daß wir die zwar einerseits annehmen müssen aber andererseits eben auch lernen müssen, die nach und nach zu überwinden und unser volles Potential zu entwickeln.

Dann gibt es da natürlich ein Problem, das wir Frauen alle haben, wir hätten gerne weibliche Vorbilder. Und hier fehlt es eben vorläufig, aufgrund der Strukturen in Tibet damals, wo eben die weiblichen Praktizierenden, wenn es sie gab meistens nicht respektiert waren und sich wenig geäußert haben. Es gibt aber ein hoch interessantes Zitat von dem Kagyü Rinpoche, der um 1600 gelebt hat. Er schreibt in dem Text „zusammengefaßte Essenz der kombinierten Praxis von Mahamudra und Dzogchen ein Kommentar zur Praxis des Großen Mitgefühlvollen“: „Wenn du ein Hauptschüler sein willst ist es notwendig dich auf einen einzigen Meister zu konzentrieren und damit zufrieden zu sein. Aber wenn du die Erfahrung und Realisation wünschst, ist es tiefgründiger, alle Lehrer denen du begegnet bist, meditativ in einem Lehrer zu verbinden“. Das bedeutet also, hier ist mehr oder weniger eine fast direkte Aufforderung mehrere Lehrer in Anspruch zu nehmen, weil jeder Lehrer wieder unterschiedliche Aspekte anregen kann. Eine Ausnahme gibt es nur dann, wenn man vielleicht Linienhalter werden soll. Dann ist es natürlich sehr, sehr wichtig mit dem eigenen Lehrer sehr eng zusammenzuarbeiten und dieser eine Lehrer der reicht dann auch, sagt Dilgo Kyentse dazu in seinem Kommentar genau zu dieser Stelle.

Aber für Lieschen jetzt, die keine Hoffnung hat eine große Lehrerin zu werden, bedeutet diese Aussage mehrere Lehrer zu haben. Und das bedeutet die Unmöglichkeit den eigenen Lehrer zu kopieren, so daß Lieschen von dem Moment an, in dem sie mehrere Lehrer hat, gezwungen ist ihren eigenen Weg zu finden und es sich nicht mehr so einfach machen kann, daß sie einfach sagt, so der eine Lehrer sagt mir jetzt genau wie und ich werde genauso wie er. Und damit wird es auch wieder relativer, ob der Lehrer jetzt ein Mann oder eine Frau ist.

An dieser Stelle kann ich von mir persönlich noch sagen, daß ich also zehn verschiedene Lehrer und darunter eine Lehrerin habe. Diese habe ich zuletzt kennengelernt und hatte natürlich sehr große Hoffnungen, daß mit dieser Lehrerin jetzt also eine Art von Kommunikation möglich sein wird, die ich noch nicht kenne, daß sie mich in ganz anderer Art und Weise verstehen wird usw. Und ich kann nur sagen, es war genauso wie immer, sie hatte wenig Zeit und war auch eine ganz andere Persönlichkeit als ich, wie jede/r meiner LehrerInnen eine andere Persönlichkeit hat als ich sie habe. Und es kristallisierte sich einfach heraus, daß ich mit allen LehrerInnen eine Beziehung in dem Sinn ausarbeiten muß, damit sie mir in bestimmten Aspekten der Praxis helfen und daß ich wegen anderer Aspekte eben zu einem anderen Lehrer gehe. Und den roten Faden muß man dann eben selbst finden.

Wenn wir, gerade im tibetischen Buddhismus, immer darüber sprechen, daß man dem Lehrer gehorchen sollte, betrifft daß vor allem den Fall, daß wenn ich um eine bestimmte Unterweisung gebeten habe, ich mich dann damit auch dazu verpflichte diese zu praktizieren. Aber das bedeutet eben nicht, daß ich in allen möglichen Aspekten eine Kopie des Lehrers oder der Lehrerin sein muß. Und aus diesen Gründen ist dann auch das Geschlecht des Lehrer nicht ganz so wesentlich.

Trotzdem fehlt natürlich diese weibliche Art der Kommunikation. Hier denke ich ist die Dharma – Freundin eigentlich wichtiger als die Lehrerin, weil die Lehrerin kaum Zeit haben wird, wie immer und es ist auch die Frage ob es der Rolle der Lehrerin sehr gut tut, wenn sie zu nah kommt und zu sehr auf einer Ebene mit einer ist. Und das, was wir Frauen uns ja wünschen, ist vor allem eine Kommunikationspartnerin auf absolut gleicher Ebene. Ein sehr enges Verhältnis, das ist ja die typische Frauenfreundschaft, so wie ich sie verstehe und da kann man mit Dharma Freundinnen eigentlich sehr weit kommen und sehr viel weiter suchen. So sehr wir uns eben eine Lehrerin wünschen, ich gehe jetzt im Moment von der Situation im tibetischen Buddhismus aus, wir müssen damit leben, daß es das kaum gibt. Und das wir in Dharma Freundinnen finden, was wir brauchen oder nötig haben.

Wenn ich also jetzt die These vertrete, daß man doch recht frei ist, daß man also von den verschiedenen Lehrern verschieden Aspekte annimmt und das ganze dann mit einem eigenen roten Faden verbindet, dann könnte sich die Frage stellen, ob man dann nicht auf den Lehrer, die Lehrerin verzichten kann. Also einfach nur mit Freunden und ein bißchen Studium von Büchern oder so was. Und da sehe ich eine gewisse Gefahr hier im Westen, daß wir mehr und mehr Praktizierende haben, die vielleicht zu diesem Schluß kommen und aus dem Grund ist es mir auch ein Anliegen da etwas dazu zu sagen. Ich beziehe mich hier auf einen Lama aus Manchester, der immer wieder betont, daß das, was wir vom Lehrer lernen so eine Art Schlüssel ist. Also die Überlieferung ist ein Schlüssel, mit dem sich jede/r einzelne dann sein eigenes Haus quasi aufschließen kann und sich das möblieren kann usw. Aber es ist ein Schlüssel, der übergeben werden muß. Und diese Schlüssel sind auch das, was in der tibetischen Überlieferung so konstant geblieben ist, wie ich es oben bereits angedeutet habe, obwohl doch die einzelnen Praktizierenden die Zeitumstände usw. sich stark verändert haben.

Es ist auch deshalb wichtig weil, ich zitiere jetzt hier, als einen für viele Lamas, der hat wohl ca.1600 gelebt, in den „Siebenunddreißig Praktiken der Bodhisattvas“ ein vom Dalai Lama sehr bevorzugter Text, in dem für die Praxis die Dreiheit hören, nachdenken und meditieren genannt wird. D.h. zunächst hören wir. Und wenn dieses Hören in manchen modernen Büchern jetzt gleich gesetzt wird mit Lesen, finde ich das nicht korrekt und zwar deshalb, weil man, wenn man ein Buch liest, den Text einfach überfliegt, „das interessiert mich“, da bleibt man hängen, oder z. B. „heilsame Handlungen, wie langweilig“ und dann liest man wieder weiter. Aber wenn man zu einem Lehrer geht und um eine Belehrung gebeten hat und ihm dann auch dementsprechend aufmerksam zuhört, dann wird man immer wieder mit Dingen konfrontiert, die einem vielleicht nicht so leicht fallen, und ich glaube, daß das für die Praxis unbedingt notwendig ist, sich dieser Situation immer wieder auszusetzen, die Überlieferung wirklich zu hören und in dieser Form aufzunehmen und nicht einfach nur zu lesen.

Ein Beweis hierfür ist auch, daß das Hören der Überlieferung, dann die Phase des Nachdenkens wo man dann versucht, daß mit sich selbst zu vereinbaren, zu integrieren und schließlich das darüber meditieren, wo man dann versucht das praktisch umzusetzen, daß dieser Prozeß zu ganz verschiedenen Ergebnissen führen kann.

Das sehen wir auch sehr schön an der Kagyü Tradition. Marpa, Milarepa und Gampopa waren Lehrer und Schüler zueinander und vollkommen verschiedene Menschen.

Marpa war ein Übersetzer in dessen Biographie steht, daß er äußerst konkurrenzsüchtig war. Er wetteiferte mit einem anderen Übersetzer, wer hat die tolleren teachings, die schöneren Belehrungen bekommen habe, und „der hat das bekommen und das muß ich jetzt auch kriegen, ich werde doch nicht etwa da hinterher hinken“. Und auch später, in Tibet dann, finden wir immer noch ein ähnliches Verhalten. Als er schon lange Lehrer war, hat er sich mit seinen Nachbarn herumgestritten bis zum „Geht nicht mehr“. Er war eben nach außen hin ein ganz normaler Laie, der eine ganz bestimmte Art von Persönlichkeit hatte, in der wir Schwierigkeiten hätten die Realisation zu erkennen. Aber wie auch immer, er war ein großartiger Lehrer, der diese Schlüssel der Überlieferung weitergeben konnte.

Sein Schüler Milarepa war dann ein Yogi, der vollkommen zurückgezogen gelebt hat, sich von allen Kontakts zu anderen enthalten hat und einfach ganz konzentriert diese Praxis, diese Meditation gemacht hat.

Dessen Schüler wiederum, Gampopa, war noch ein anderer Typ. Er war ein Mönch, der eine Mönchstradition, ein Kloster begründet hat auf das sich dann die Kagyü Tradition aufbaute konnte, der also dann, wenn man so will, eher ein Politiker war.

Er vertrat also eine sehr reine Mönchspraxis, während die anderen beiden Laien gewesen waren und diese verschiedenen Menschen konnten aber alle die selben Schlüssel auf ihr Leben anwenden und damit ihren Weg finden. Und ich denke genau das kann Lieschen in ihrer Situation eben auch tun und braucht nicht unbedingt das Vorbild des Lehrers dazu.

Ich möchte jetzt mal ein längeres Zitat vorlesen, dieser Lama lebte von 1808 -1888 in Tibet und ist mehr oder weniger freiwillig diese Art von Hausfrau. Er ist ein Mann, der eigentlich als Rinpoche, als Tulku, alle Möglichkeiten gehabt hätte für eine große Karriere, er hatte auch die entsprechende Ausbildung. Aber er verzichtete freiwillig, um die Praxis authentischer zu machen, um zu wandern und er wurde meistens überhaupt nicht erkannt.

Es gibt viele, viele Geschichten über ihn, daß er z.B. einer Frau Schuhe getragen hätte, also das niedrigste vom niedrigen in Tibet, weil die nicht wußte, wen sie vor sich hatte. Und diese Frau dachte dann hinterher „oh je, was hab ich getan“. Also solche Geschichten.

Er war ein sehr markanter Lehrer dessen Bücher sehr zu empfehlen sind. In „Das Herzjuwel der Erleuchteten“, im Theseus – Verlag erschienen, steht die Stelle, die ich hier vorlesen will. Und ich bitte darauf zu achten, wie hier sowohl das männliche Klischee, als auch das weibliche Klischee in Frage gestellt wird, damit man auf existentiellere Werte kommt. Als männliches Klischee bezeichne ich hier mal die Bestrebung Führungspositionen zu haben, Lehrer zu sein und als weibliches Klischee bezeichne ich hier jetzt mal, den Wunsch nach einer Beziehung, die gegenseitig und sehr eng ist. Er sagt also: „In diesem dunklen Zeitalter ist alles was die Menschen denken und tun voller Gemeinheit, Keiner wird dir jemals helfen. Sie betrügen und überlisten dich. Schwierig ist es auch für dich, ihnen zu helfen. Wäre es nicht das Beste aus diesem niederträchtigen Wirrwarr auszusteigen? Du dienst denen, die über dir stehen. Nie freuen sie sich darüber. Du sorgst für die, die unter dir stehen. Nie sind sie zufrieden. Du kümmerst dich um andere, sie kümmern sich nicht um dich. Bedenke dies und fasse deinen Entschluß. In diesen Zeiten gelehrt zu sein, hilft den Lehren nicht, es führt nur zu noch mehr Diskussionen. In diesen Zeiten verwirklicht zu sein, hilft den anderen nicht, es führt nur zu noch mehr Kritik. In diesen Zeiten eine verantwortliche Position zu haben, hilft nicht das Land gut zu regieren, es führt nur zu Aufstand. Voll Sorge und Überdruß denke über diese Zeiten nach. Wenn dein Verhalten mit dem Dharma übereinstimmt, bringst du alle gegen dich auf . Wenn deine Rede aufrichtig ist, ärgern sich die meisten darüber, wenn du einen guten lauteren Geist hast, halten sie das für ein Gebrechen. Dies ist die Zeit dein Wesen zu verbergen. Überdruß, weil man niemanden trauen kann. Trauer, weil alles bedeutungslos ist. Entschlossenheit, weil die Zeit nie ausreicht, alles zu erlangen, was du möchtest. Wenn du diese drei immer im Sinn hast, wird dir das nicht zum Schaden gereichen.

Wer viel von anderen erwartet, muß stets freundliche Miene machen. Wer sehr anspruchsvoll ist, muß sich mit vielen Bedürfnissen herum schlagen, wer Pläne für dieses und jenes macht, dessen Geist ist voll von Hoffnung und Angst. Von nun an, komme was da mag, mache nicht mehr mit! Auch wenn du heute sterben mußt, warum darüber traurig sein? So ist Samsara. Auch wenn du hundert Jahre bist, warum darüber glücklich sein? Deine Jugend ist schon längst entschwunden. Ob du lebst oder im nächsten Augenblick stirbst, was bedeutet schon dieses Leben? Jetzt gleich, auf der Stelle, praktiziere den Dharma für das nächste Leben. Darauf kommt es an“.

Ich denke diese Zitat drückt besonders klar und deutlich diese innere Haltung aus, mit der man praktizieren muß. Also praktisch eine vollkommene Desillusionierung. Desillusionierung ist ein Wort mit dem ich manchmal auch gerne das Wort Entsagung übersetzte. Es geht darum für die Praxis, auch die des Bodhisattva, für das anderen helfen, eine Basis zu finden, die wirklich frei ist von Hoffnung und Furcht, also das man nicht hofft irgendwas bestimmtes in diesem Leben zu erreichen oder Angst hat es nicht zu erreichen und das bedeutet auch, daß eine Position zu haben, unwichtig ist für eine solche Praktizierende. Ich rede jetzt nur von den Praktizierenden, nicht vom politisch berechtigten Aspekt der Frauen auch eine Rolle zu spielen, sondern das für eine Praktizierende die Position unwichtig ist. D.h. sie kann es annehmen, wenn es auf sie zukommt warum nicht, das ist ja nicht so wichtig, aber sie braucht es nicht, wenn es nicht auf sie zukommt. Und das ist z. B. auch ein Kriterium ob jemand reif ist LehrerIn zu sein, denn solange man diese Hoffnungen noch hat selber LehrerIn zu sein, ist das eigentlich ein negatives Zeichen. So sagt jedenfalls DagyabRinpoche, einer meiner Lehrer.

Und da besteht ein bißchen die Gefahr für Lieschen, daß sie z. B. meint, gut ich mache jetzt mal diese Anfängerphase, mit diesen vier Gedanken durch, und ich praktiziere so wie Patcha Rinpoche und dann irgendwann … , irgendwann kommt der Durchbruch und ich werde brillieren, ich werde eine brillante Lehrerin sein u.s.w. Das ist also ein Punkt auf den Lieschen ganz bestimmt achten muß und man könnte also hier, ein bißchen provokativ, sagen, je weniger Chancen auf eine solche „hohe Position“ bestehen, um so besser ist es für die Praktizierende. Und ich glaube, daß hier die Ursache dafür zu sehen ist, daß die Frauen in Tibet, dann, wenn sie praktiziert haben, mit einem so hohen Erfolg praktiziert haben. Die Mehrzahl hat wohl einfach Opfergaben dargebracht und die Praxis, die schon fortgeschritten auf die Essenz abzielt war eher die Ausnahme, aber wenn, dann scheint es, nach dem was mir einige tibetische Lehrer erzählt haben, bei den Frauen besonders schnell durchschlagend gewesen zu sein. Und in Tibet war es nun wirklich so, daß die Frauen sich da nicht allzu große Hoffnungen machen konnten, es gibt das tibetische Sprichwort „Wenn du einen Herrn willst, dann mache deinen Sohn zum Mönch und wenn du eine Dienerin willst, mache deine Tochter zur Nonne“. Also in Tibet war es für Frauen wirklich eine besondere Entscheidung, Dharma so ernsthaft zu praktizieren.

Ich will jetzt noch beweisen, daß dieser Rinpoche nicht der einzige ist, der Dharma Praxis auf so eine ganz essentielle Basis stellt. Ich will hier auf die Sakya Tradition hinweisen. Der Begründer Sachen Künga Nyingpo, 1092 -1158,hat in einer Vision des Manjushri, die als Grundbelehrung in der Sakya – Tradition gilt, als ersten Satz,“ Wenn du für dieses Leben Wünsche hast, bist du kein Dharma Praktizierender“. Also eine sehr direkt Aussage, aber das vergessen wir sehr leicht und deswegen wird Lieschen, wenn sie eben nicht versucht auf dieser essentiellen Basis zu praktizieren, oft enttäuscht werden. Denn sehr oft erwarten wir vom Buddhismus besondere psychologische Ergebnisse oder so was, finden die dann nicht, haben nach 20 Jahren immer noch Haß, ich z.B., oder Anhaftungen und diesen und jenen Fehler. Dann denken wir, daß sich das Ganze wohl nicht gelohnt hat und hören auf.

D.h. also, Lieschen hat sich mit diesen Sätzen sehr früh und immer wieder und wieder auseinander zu setzen. Das ist wesentlich, wenn man Buddhismus überhaupt mit Erfolg praktizieren will. Ganz besonders in unserer Kultur.

So und nach dieser langen Vorbereitung kommen wir jetzt endlich direkt zur Bodhisattva – Praxis. Bis jetzt wirkt das so ein bißchen, als ob man sich um niemanden kümmern müßte. Dem ist aber nicht so. Es ist lediglich so, daß eine innere Freiheit oder innere Unabhängigkeit von äußeren Umständen die Voraussetzung ist, um sich dann, nach den buddhistischen Idealen, unparteiisch um alle und wirklich ganz von Herzen kommenden um andere kümmern zu können.

Das finden wir jetzt bei Tsongkhapa, 1357 – 1419. im großen „Stufenweg zur Erleuchtung“, dort heißt es: „Wenn man die Leiden des Daseinskreislauf überdenkt und dabei auf sich selbst bezieht, entwickelt man dadurch Entsagung. Wenn man diese gleichen Leiden überdenkt und dabei auf andere bezieht, entwickelt man dadurch Mitgefühl. Wenn man jedoch nicht zuerst in Betrachtung seiner selbst übt, verpaßt man das wesentliche“.

Hier haben wir auch die Antwort auf das Problem von vielen Leuten, die, wenn sie etwas über die Bodhisattva Praxis hören, fragen „Ja, kriegen wir jetzt nicht das Helfersyndrom, Könnte es nicht sein, daß wir jetzt nicht mehr leben können, ohne anderen zu helfen?“ usw. Die Antwort finden wir genau hier. Also d.h., wenn die Praxis existentiell genug ist, wir uns unserer eigenen Vergänglichkeit klar genug sind, dann werden wir eher sehen, daß der andere in der selben Situation ist, wie wir selbst. Und aus diesem Gefühl der Verwandtschaft heraus, entwickelt sich dann nach und nach Liebe. Das sollte jedenfalls passieren, ich kann das aber nicht aus eigener Erfahrung sagen, aber, so ist die Theorie.

Es geht also nicht um das Aufgeben der Beziehungen zu Lebewesen, sondern es geht darum, daß man diese Beziehungen zu den Lebewesen dann letztlich vertieft. Das man den existentiellen Aspekt sieht, sieht daß man eben z. B. das Leiden als normalen Aspekt der menschlichen Beziehung sehen und ganz tief akzeptieren muß und zwar in dem Sinne, daß man es im anderen furchtlos sieht, man sich z.B. nicht abwendet von Alten und Kranken, was ja in unserer Kultur der Fall ist, sondern daß man das eben unterstützt und da dann hilfreich tätig wird, aus innerem Ansporn heraus.

Wie man das macht, dazu gibt es sehr ausführliche Anweisungen, jetzt mache ich Eigenwerbung und zwar gibt es demnächst im Theseus – Verlag eine neues Buch das nennt sich „Sonnenstrahlen des Geistestrainings“ und das habe ich zusammen mit dem Geshe Thubten Ngawang aus Hamburg, mit Unterstützung des tibetischen Zentrums, übersetzt. Das Buch stammt von einem Schüler Tsongkhapas, und in dem wird ganz ausführlich beschrieben, wie man diese Liebe in den verschiedenen Stufen entwickelt. Dort wird zunächst einmal von diesen vier Gedanken als Basis ausgegangen und dann wird eben beschrieben wie man die Mutter – Kind – Beziehung nutzt usw. Das wird dann immer mehr ausgeweitet auf immer mehr Lebewesen. Ich möchte hier auf ein Wort hinweisen und zwar heißt es immer, man muß dahin kommen alle Lebewesen in einem angenehmen Aspekt zu sehen. D. h. man empfindet dann die Lebewesen, wie ein einziges Kind. Es geht nicht um eine künstliche Form von Liebe, die Lieschen hier entwickeln soll, sondern es geht darum zu üben und diese Verwandtschaft zu empfinden, bis man sich freut andere zu sehen, man wirklich diesen angenehmen Aspekt dann empfindet, wenn man andere sieht, was für uns normalerweise ja nicht so ist, wir brauchen längere Zeit der Bekanntschaft und der Freundschaft bis wir uns mal wirklich freuen jemanden zu sehen. Aber diese Praxis soll also dann dahin führen, daß wir jedes Lebewesen, auch wenn wir es noch gar nicht kennen, wie ein einziges Kind sehen.

An dieser Stelle möchte ich ganz gerne noch mal zu dem Vortrag von Frau Dr. Herrmann – Pfandt von gestern eine Anmerkung machen. Sie sprach davon, daß die Unreinheit des Körpers etwas war, was sie bei den Nonnen in den Liedern nie gefunden hat und das finde ich einen sehr interessanten Aspekt, den wir untersuchen müßten, denn zumindest ist mir bis jetzt noch keine Frau begegnet, die gesagt hat, daß sie diese Art von Meditation nützlich finden würde. Ich weiß auch, daß die tibetischen Mediziner Gelübde ablegen müssen, Ausscheidungen niemals als unrein zu empfinden, und es könnte sein, daß wir Frauen einfach so stark über den Beziehungsaspekt arbeiten, so sehr an Kinderpopos gewöhnt sind wie an den Umgang mit unserer Menstruation, daß wir diese „Unreinheit“ sogar als Anlaß zur Liebe nehmen. Das könnte ich mir vorstellen, aber das ist jetzt nur eine Phantasie, eine Anregung, was wir vielleicht mal diskutieren könnten, oder wo wir sehen könnten, wie andere Buddhistinnen, auch gerade in anderen Ländern, das sehen.

Zu dieser Ausdehnung der Liebe gibt es noch einen sehr schönen Gedanken „Wer Anhaftungen hat, der leidet weil eine geliebte Person nicht da ist. Ohne Anhaftung genießt man immer die Person, der man gerade begegnet“ D.h. also, es gibt unheimlich viel Freiheit. Das ist, denke ich ein Aspekt, der auch in der normalen Familienbeziehung bei uns noch zu schwach ist, daß da eben bloß an die eigene Familie gedacht wird oder nur an den eigenen Mann oder immer nur an das eigene Kind.

Zum Abschluß wollte ich dann zu den eigentlichen Bodhisattva Praktiken etwas sagen. Ich werde aus dem aus dem Text „Klare Darstellung der Gedankengänge des Mönchs“ von Sakya Pandita 1182 – 1251, jeweils ein oder zwei Sätze herausnehmen und dazu sagen wie man das in unserem Alltag meines Erachtens besonders leicht praktizieren kann oder welche nützlichen Überlegungen man dabei haben kann, damit Lieschen damit fertig wird, daß sie eben im Moment kein Bodhisattva sein kann, einfach nicht so weit ist in ihrer Praxis, aber trotzdem nicht verzweifelt. Denn dieses Problem ist glaube ich für viele von uns immer und immer wieder ein Thema.

Die erste von diesen sechs sogenannten Vollkommenheiten oder paramitas ist das Geben.

Ein sehr hohes Ideal, daß man in Geschichten von früheren Leben des Buddha findet. Z. B., daß Buddha seinen Körper einfach so geben konnte für eine Tigerin, die Hunger hatte, solche ganz dramatischen Geschichten, während unsere Ebene dann eher die ist, daß man Wasserschalen vor einer Buddhastatue aufstellt und sich dabei die guten Qualitäten des Buddha vergegenwärtigt, aber da ist eine ganz weite Spanne dazwischen.

In einem Sutra heißt es:“den Hungrigen Speise zu geben und Kleider, Heilmittel und Geld denjenigen, die es benötigen, ist im wesentlichen eine geistige Übung. Selbst wenn du dazu bereit wärst gib nicht deinen Kopf , deine Beine, Hände oder andere Körperteile, bevor du nicht die Geduld der Geburtslosigkeit (also einen sehr hohen geistigen Rang) erlangt hast“. D. h. es ist im wesentlichen eine geistige Übung und das ist etwas, womit wir uns, so denke ich, abfinden müssen. Also, soziales Engagement ist absolut wichtig und ich stimme auch mit den anderen Referentinnen überein, daß das im Buddhismus in Zukunft stärker in den Vordergrund kommen muß. Aber um nicht am eigenen Anspruch zu verzweifeln, ist es auch sehr wichtig, zu wissen, daß die geistige Übung die Vorbereitung dafür ist und zunächst unsere Praxis. Und das Umsetzen entwickelt sich dann immer mehr von innen heraus, denke ich, also der Wunsch nicht mehr untätig zuzuschauen. Und wir leben ja auch nicht abgeschieden, sondern mitten in der Gesellschaft und haben also jede Menge Möglichkeiten um aktiv zu werden.

Das Geben wird eingeteilt in materielle Gaben, Dharma geben, also das kann dann sein, daß man Freunden den Tip gibt, das und das ist ein gutes Buch, insofern habe ich ihnen vorher schon Dharma gegeben, als ich ihnen den Pantschen Rinpoche empfohlen habe, Liebe geben und Furchtlosigkeit oder Schutz, daß man Wesen die in Gefahr sind schützt. Es gibt also sehr, sehr viele Varianten davon.

Dann zur ethischen Disziplin. Das ist ein sehr weites Thema und ich zitiere hier wieder Sakyapandita , der hier nur eine bestimmte Form von ethischer Disziplin nennt: „Ethische Disziplin ist das Vermeiden unguten Verhaltens zum Wohle anderer. Es ist eine beständige Achtsamkeit, die darauf gerichtet ist, negative Dinge und ihre Ursachen zu beseitigen, um andere möglichst effizient zu unterstützen.“ Das heißt also wir können hier sagen, daß Ethik in diesem Rahmen ganz und gar auf Einsicht beruht, also darauf, daß wir sehen, wenn ich mich so und so verhalte bringe ich etwas negatives für andere.

Bei Nonnen ist es so, daß sie sozusagen einen Blanko Scheck für die gesamte Liste unterschreiben, bevor sie überhaupt in den Orden eintreten, bei uns Laien ist es anders wir können uns auswählen, wieviel Laiengelübde wir wollen. Es gibt sogar die Möglichkeit nur Zuflucht zu nehmen und die fünf Laiengelübde zunächst nicht zu nehmen und dann zu langsam aufzubauen. So gibt es ganz bestimmte tibetische Ausdrücke, für jemanden der nur eins der Gelübde hat, für jemanden der zwei, drei, usw. hat.

Diese ethische Disziplin zu schaffen bedeutet also, daß man sich genau überlegt warum tue ich dieses und jenes und was hat mein Handeln eigentlich für Folgen. Nur als Beispiel, das sexuelle Fehlverhalten. Wenn man sich klar macht welches Leid man über eine Familie bringt, wenn man z.B. den Mann verführt und dann, typisch Frau, auch eine Beziehung will und nicht damit zufrieden ist ihn einfach so zu haben, dann wird man vielleicht auch irgendwann den Wunsch haben dieses Gelübde zu nehmen. Dann gibt es auch andere Aspekte, es heißt z.B. in manchen Texten auch, daß man am Tag keinen Geschlechtsverkehr haben soll. Und da muß ich sagen, daß ich hierfür bisher keinen Grund gefunden habe und es selber nicht ganz einsehe und vielleicht das Gelübde in dem Punkt lieber noch nicht möchte. Ich denke man muß hier sehr vorsichtig sein, da wir im tibetischen Buddhismus Überlieferungen haben, die nicht immer explizit erklärt sind. Es wäre dann nicht ausreichend zu sagen, daß dieses Gelübde vielleicht nur zustande kam, weil in Asien die Bedingungen evtl. so waren, daß es sehr negativ angesehen war, wenn man da erwischt wurde oder irgendwas. Denn es könnte sein, daß es dafür eine viel tiefgründigere Ursache gibt, die ich bloß im Moment noch nicht kenne. D.h. man läßt solche Sachen dann im Moment einfach offen und sagt, das ist in der Tradition, wir werden sehen. Im Tantra wird sehr stark mit psychosomatischen Veränderungen gearbeitet, es ist auch von Tageszyklen, die man im Körper hat, die Rede und es könnte was damit zu tun haben.

Das nur als Beispiel dafür wie man mit dieser ethischen Disziplin umgehen kann, ohne daß es zuviel wird. Wenn ich jetzt dauernd meinem Mann sagen müßte, der ist, ganz nebenbei, kein Buddhist, du darfst tagsüber nicht, daß wäre für unsere Beziehung z. B. ein bißchen schwierig.

In den Texten selbst gibt es ein Beispiel: „wenn ein Mensch dran gewöhnt ist, ständig zu töten, am laufenden Band Menschen umzubringen, könnte man das Gelübde nehmen, für einen Nachmittag zumindest, mal keinen Menschen zu töten, vielleicht Tiere aber keinen Menschen. Das bedeutet also für uns Laien, daß es, zumindest nach Sakyapanditat auch möglich ist die einzelnen Gelübde selbst zu differenzieren und Versprechen abzulegen, die erst mal beschränkt sind. Es ist nicht notwendig gleich alle fünf zu nehmen.

Dann zur Geduld. „Wenn jemand stirbt oder ein Gefäß zerbricht, welchen Nutzen hat es darüber unglücklich zu sein? Wasser ist von Natur aus naß, Erde hart, Luft beweglich und Raum leer. Da Lebewesen von Natur unbeherrscht sind, ist Ärger gegenüber ihnen unsinnig. Die Vorteile der Übung von Geduld in diesem Leben sind unerläßlich. Wie z. B. die Fähigkeit Schaden durch andere zu ertragen ohne ihn zurückzugeben“.

Sie haben schon gelacht und mich wundert’s nicht, denn für uns, mit unserem komplizierten psychologischen Denken, erscheint es oft zu einfach schlicht zu sagen, es bringt nichts, sich zu ärgern. Dazu kann man sagen, daß einmal die dauerhafte Praxis, hoffe ich zumindest, dazu führt, daß man eben selber auch etwas unkomplizierter wird. Daß man die Dinge einfach nehmen kann. Bei Asiaten z. B. habe ich das oft beobachtet, daß die da einfach eine größere Fähigkeit haben, als wir. In den in den „Mutterunterweisungen“ der Kagyü Tradition findet man eine sehr einfache Anweisung. Wenn man wütend ist, Aufmerksamkeit weg vom Objekt, nicht herunterschlucken, weil man sonst krank wird also nicht die Vorstellung „Ich bin ein toller Mensch, ich habe keine Wut“, sondern einfach den Geist betrachten, so wie er ist, in seinem wütenden Zustand und nicht mehr an den Menschen denken, der die Wut ausgelöst hat. Hinterher, ist es wichtig sich dann zu sagen, ja meine Aggression war keine sehr gute Sache.

In diesem Moment der Reue gibt es wieder eine sehr großes Problem für westliche Praktizierende. Nämlich, daß man sich gern selbst zerfleischt, daß liegt halt eben auch an unserer christlichen Tradition, nehme ich an, wo man eben dann einen Pfarrer braucht, der sagt, alles ist dir vergeben. Bei uns ist das ja nun nicht der Fall, d.h. wir müssen selbst damit arbeiten. Hier ist also ein deutlicher Unterschied, daß habe ich bei Übersetzungen gemerkt, daß es fast unmöglich ist, einem tibetischen Lehrer überhaupt das Problem klar zu machen, warum das für uns so schwierig ist. Also, möglichst sachlich denken und sagen, das war jetzt nicht so gut und ich werde eben versuchen in Zukunft mehr innere Kraft zu entwickeln. Man sollte sich nie als „VorzeigeBuddhistIn“ oder so was, darstellen wollen, denn dadurch wird es praktisch sehr problematisch für eine, wenn man mal nach außen daneben getreten ist. Das ist auch ein sehr wichtiger Aspekt. Man tut einfach was man kann und fertig. Das hört sich jetzt zwar alles sehr banal an, aber ich habe viele Praktizierende gesehen, die an solchen Dingen in ihrer Praxis gescheitert sind.

Der Vorteil von Geduld ist natürlich, daß man lernt frei zu handeln, daß man nicht mehr unter Zwang steht quasi den anderen, die andere anschreien zu müssen, weil man nicht mehr anders kann, sondern das man ihn nur anschreit, wenn man es aus irgendeinem Grund für richtig hält.

Die vierte paramita: Eifer, definiert als Freude am Heilsamen. Also dieser Aspekt Freude ist zu beachten, also kein sich „durchstressen“ oder so was. Dazu eine Stelle: „Faulheit, das Gegenteil der freudigen Bemühungen und des heilsamen, wird durch Anhaftung an unheilsame oder weltliche Aktivitäten, wie Geschäfte oder soziale Treffen ausgelöst, oder durch Enttäuschungen, die durch den Mangel von Ergebnissen in den heilsamen Handlungen, zur Entmutigung in der Praxis führt oder durch Selbstzweifel, durch das Gefühl, jemand wie ich kann niemals Fortschritte machen.“ Und was ich hier so interessant finde ist, daß wir hier wieder Probleme angesprochen haben, die wir im Westen nur zu gut kennen. Z. B. diese Selbstzweifel, jemand wie ich, der kann ja sowieso nichts erreichen, das kommt also hier in

alten tibetischen Texten vor, das geht sogar noch zurück auf Shantideva also noch bis ins achte Jahrhundert mindestens zurück. Oder die Ablenkung durch alle möglichen, sinnlosen Dinge, daß das als Faulheit bezeichnet wird, ist also auch, denke ich, ein recht interessanter Aspekt.

Dann zur Meditation, dem fünften der paramitas: „Wie ein Wasserfall, der eine steile Klippe herunter stürzt, ist ein ablenkbarer Geist schwer unter Kontrolle zu bringen und wird zu unheilsamen Verhalten führen, daß einen im Daseinskreislauf festbindet und zu niedrigeren Wiedergeburten führt.“ Das bedeutet bei dieser Form von Meditation, Meditation hat viele Varianten im tibetischen Buddhismus, aber bei der Form, die hier gemeint ist, geht es darum, daß der Geist sich konzentrieren lernt. Und hier ist für Lieschen das einfachste, wenn sie sehr gestreßt ist und das ist eine Empfehlung von tibetischen Lehrern, einfach kurz, aber oft zu meditieren. Einer meiner Lehrer meinte z. B. bevor man den Zündschlüssel im Auto umdreht. Einfach ganz kurz, zwei Minuten, solche Momente im Leben einfach zur Gewohnheit machen, auch wenn es ganz kurz ist, es hat immer Sinn, es hat Zweck.

Dann das sechste paramita die Weisheit. Da zitiert Sakyapandita den Mahasiddha Saraha

„Wo Mitgefühl fehlt, wird man nicht einmal durch Leerheit den Weg der Bodhisattva Aryas, Edle finden. Wenn nur Mitgefühl geübt wird, verbleibt man im Daseinskreislauf ohne Befreiung zu erlangen.“ Auch wenn wir jetzt mehr über Mitgefühl und die grundlegende Praxis gesprochen haben, Leerheit oder die eigentliche Essenz sind essentiell um wirklich weiter zu kommen. Und hier muß man dann wirklich auch einen Lehrer suchen, der entsprechende Unterweisung gibt.

Sehr, sehr wichtig, finde ich für Lieschen, daß sie eben nicht nach außen hin praktiziert, daß sie meint andern was beweisen zu müssen. Und ein sehr wichtiges Zitat hierbei ist das von Geshe Tschekawa Yeshe Dorje (1102 bis 1176): „Halte dich an den wichtigeren unter den beiden Zeugen“, findet sich in den sieben Punkten des Geistestrainings. Mit den beiden Zeugen bin „ich“ oder „der andere“ gemeint. Wenn der andere sagt, ich praktiziere toll und wenn ich sage ich habe mich richtig bemüht, ob das so ist, daß weiß nur ich und das weiß nicht einmal der Lehrer. Das also muß ich hier auch noch einmal betonen, denn gerade im tibetischen Buddhismus, haben wir immer wieder das Problem, daß auf die Lehrer zu viel projiziert wird. Nicht umsonst haben Tibetologen früher von Lamaismus gesprochen, was erst so langsam ausstirbt, einfach wegen dieses Mißverständnisses westlicher Praktizierender.

Ich habe das in Nepal mal sehr schön beobachten können, wie Tibeter damit eigentlich umgehen. Mein tibetisch – Lehrer hat von seinem Rinpoche, von seinem religiösen Lehrer, immer sehr ehrerbietig gesprochen „er hat übersinnliche Wahrnehmungen, er kann alle möglichen Wunden heilen, usw. Aber wenn es um Politik ging, dann hat er zu mir gesagt, also wenn ich anderer Meinung bin, dann schweige ich einfach.“. D. h. also dieser totale Gehorsam, der hier oft falsch verstanden wird, der ist in Tibet kulturell gar nicht so üblich gewesen. In den Texten wird das zwar ständig betont, daß man den Lehrer wie einen Buddha sehen und gehorsam sein soll, aber nicht nur, wie ich vorhin schon sagte, die Vielzahl von Lehrern macht so etwas unmöglich, sondern es ist tatsächlich auch in Tibet kulturell so verankert, daß es nicht so gehandhabt wird. Und das sind die Dinge die uns im Westen hier oft fehlen. Dieses kulturelle Wissen darüber wie praktiziert man in Tibet, um dann einschätzen zu können, wie praktiziert man wirklich, wie wendet man es dann wirklich an.

Es gibt ein ganz seltenes Zitat, der Text ist sehr bekannt aber die Tatsache, daß es mal so klar ausgesprochen wird, ist sehr selten, denn wie gesagt begegnet uns in den tibetischen Texten ja eher immer nur die große Verehrung der Lehrer, die fast als Buddha dargestellt werden und zwar wird bei Gampopa (1079 bis 1153) in „Der kostbare Schmuck der Befreiung“ geschrieben: „Welcher Art von Lehrer wir begegnen hängt von unserer eigenen Entwicklungsstufe ab. Da es uns Anfängern nicht möglich ist, einen vollkommen Erwachten, oder Erwachenden, mit hoher Verwirklichung zu folgen, stürzen wir uns zunächst auf einen gewöhnlichen geistigen Lehrer oder eine Lehrerin.“ Gewöhnlicher Lehrer, das bedeutet, da Lieschen weiß, oder wir selbst eben wissen, daß wir gewöhnliche Menschen sind, werden wir auch in unserem Lehrer, wohl oder übel, gewöhnliche Eigenschaften sehen und denen begegnen und müssen entsprechend damit umgehen, Mann oder Frau.

Abschließend möchte ich darum bitten, daß wir nicht das Kind mit dem Bad ausschütten, wenn es in der tibetischen Tradition im Moment, was den meisten von ihnen bekannt sein dürfte, sehr viele Differenzen gibt, also Spaltungsgefahr in zumindest zwei der vier Schulrichtungen und solche Dinge, daß das nicht bedeutet, daß die Schlüssel der Lehre selbst, die ein/e LehrerIn weitergeben kann, deswegen wertlos werden, weil man z.B. politisch aus irgendeinem Grund nicht mehr mit dem Lehrer übereinstimmen kann, sondern daß es da wichtig ist die Qualitäten weiterhin als Qualitäten zu sehen. Das hat auch der Dalai Lama mal, in Hamburg war es, sehr betont, daß wer wirklich Dharma praktiziert, Qualitäten verehren oder Qualitäten Respekt erweisen wird, wo immer er sie sieht. Und für den ist ein sektiererisches Verhalten unmöglich. Er wird auch das Christentum respektieren, weil er da einfach Qualitäten sieht und Toleranz entwickeln zu allen Religionen.

Wir müssen die Fähigkeit haben unsere LehrerInnen auch dann zu respektieren, wenn wir z. B. LehrerInnen haben, die auf den beiden politischen Seiten stehen und sich da total konträr gegenüber stehen und müssen sie beide als Vermittler der Überlieferung, die uns die Schlüssel gegeben haben, in diesem Punkt weiter respektieren können. Ich finde sehr wichtig, daß wir da wirklich so handeln, wie wir es gern als Teenager gesagt haben „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“, daß wir das einfach denen ihre Sache sein lassen und uns auf die Qualitäten stützen.

Ganz zum Abschluß von Shantideva, fast so eine Art Widmung jetzt, die eben auch noch mal zeigt, daß man sich einfach wünscht in jeder Form, männlich, weiblich, in hoher Position, in niederer Position, für andere tun zu können, was man kann, da heißt es bei Shantideva, achtes Jahrhundert, im „Eintritt in das Leben zur Erleuchtung“:

„Möge ich den Schutzlosen ein Beschützer sein, ein Führer den Reisenden, denen die zum anderen Ufer wollen ein Boot, ein Damm, eine Brücke, eine Lampe für die, die eine Lampe brauchen, ein Bett für die, die ein Bett brauchen, ein Diener für alle Lebewesen, die einen Diener brauchen. Wie die Erde und die anderen Elemente in vielfacher Weise den unermeßlich vielfachen Wesen von Nutzen sind, die den endlosen Äther bevölkern, so möge auch ich in vielfacher Weise allen Wesen nützen, die der Äther birgt solange noch nicht alle erlöst sind.“

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Link zum Artikel: relkultur27-09

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