Der Denker, der den Preis seiner Gedanken mit seinem Leben bezahlte:
Suhrawardī al-Maqtūl – Meister der Erleuchtung
Von: Selahattin Akti
Einleitung
Generell lässt sich sagen, dass die islamische Ideengeschichte auf drei Säulen beruht. Diese sind: Kalām (systematische Theologie), Sufismus und die islamische Philosophie. Auch wenn ihre Referenzen, Terminologien und Schlussfolgerungen voneinander abweichen, diskutieren alle drei Disziplinen ähnliche Themen. Die islamische Philosophie etablierte im Laufe der Zeit ihre eigene Tradition, die sich besonders in den intellektuellen
Auseinandersetzungen im 9.-13. Jahrhundert bemerkbar machte. Obwohl es einige Schulen wie Dahriyyūn, Ṭabiʿiyyūn oder Rawākiyyūn gibt, sind Maššāiyya und Išrāqiyya jene Strömungen, die man vorrangig mit islamischer Philosophie verknüpft.
Die Maššāī Schule, der wichtigen Philosophen wie Kindī/Alkindus (gest. 866), Fārābī/Alpharabius (gest. 950), Ibn Sīnā/Avicenna (gest. 1026) und Ibn Rušd/Averroes (gest. 1126) angehören, trat mit rationalem Denken in den Vordergrund. Als Vertreter der aristotelischen Philosophie in der islamischen Welt wurden sie Maššāiyyūn (muslimische Peripatetiker)[1] genannt. Die Maššāīs, die Gedanken von Platon (gest. 347 v. Chr.), Aristoteles (gest. 322 v. Chr.) und Plotinus (gest. 270) in ihre Systeme einbezogen und daher in ihrem Denksystem eine eklektische Struktur aufwiesen, versuchten vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte das Prophetentum als ein philosophisches Problem zu betrachten und zu begründen. Die Sufis fanden es jedoch unzureichend, dass die Maššāī-Philosophen, um zur Erkenntnissen zu gelangen, nur die Sinne und die Vernunft gelten ließen. Im Gegensatz zum rationalen Wissen stellt der Sufismus das geistige Entdeckungswissen (kašf) in den Mittelpunkt seines erkenntnistheoretischen Ansatzes, da der Verstand nicht in der Lage ist die Wahrheit zu erkennen. In dieser Hinsicht weist der Sufismus einen grundlegenden Unterschied zu dem muslimischen Peripatetiker auf. Dabei ist Intuition für sie eine dritte Informationsquelle.
Auf der anderen Seite ist die Išrāqiyya, eine wichtige Lehre der islamischen Philosophie, die in einem Aspekt den Sufis und im anderen den muslimischen Peripatetiker ähneln, taucht als eine Schule auf, die man zwischen Sufismus und Maššāī-Philosophie positionieren kann. Indem die Išrāqīs behaupten, dass die Erkenntnis der Wahrheit nur mit Intuition möglich ist, ähneln sie in ihrem erkenntnistheoretischen Modell den Sufis. Außerdem verfolgen sie die Emanationstheorie des Neuplatonismus zur der Erklärung der ontologischen Grundlagen des Universums, genauso wie die Maššāīs.
Das Verhältnis zwischen den Disziplinen in der Geschichte des islamischen Denkens kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Wissenschaft, die sich mit der Erkenntnis Gottes befasst (Theologie), ist das wichtigste Gebiet der Metaphysik. In der Geschichte des islamischen Denkens wurde diese Wissenschaft jedoch auf unterschiedliche Weise behandelt. Dieser Unterschied ist vor allem methodischer Natur. In der islamischen Ideengeschichte wird allgemein anerkannt, dass es zwei Wege gibt, um zu Gottes Wissen zu gelangen. Der eine ist der Weg des theoretischen Denkens, der Argumentation und der Vernunft. Der andere ist der Weg der Askese, der die Intuition (kašf) repräsentiert. Wenn diejenigen, die dem ersten Weg folgen, mit den Erfordernissen der Religion handeln, nennen wir sie Theologen, und wenn sie jedoch mit den Erfordernissen der Philosophie handeln, nennen wir sie Maššāīs. Diejenigen, die den zweiten Weg betraten, werden Sufis genannt und handeln nach den Erfordernissen der Religion. Agieren sie jedoch nach den Erfordernissen der Philosophie, nennt man sie Išrāqīs/Illuministen. (Siehe Abb. 1.)
Religion |
Vernunft
|
Philosophie |
Kašf (Eröffnung, Enthüllung) |
Abbildung 1 Die Positionen der Disziplinen, die in der Geschichte des islamischen Denkens auftauchen, auf den Achsen der Religion-Philosophie und der Vernunft-Enthüllung.
Der wichtigste Vertreter der Išrāqī-Philosophie, auf dessen Einzelheiten im Folgenden eingegangen wird, ist zweifellos Suhrawardī. Suhrawardī (gest. 1191) ist eine der beachtlichsten Figuren in der Geschichte des islamischen Denkens nach Manṣūr al-Ḥallāǧ (gest. 922), der den Preis seiner Ideen mit seinem Leben bezahlen musste. Bevor Forscher wie Henry Corbin (gest. 1978) im 20. Jahrhundert eine Reihe von Arbeiten über ihn veröffentlichten, war Suhrawardī im Westen kaum bekannt. Nach Brockelmann (gest. 1959) war er ein Derwisch, der von neuplatonischen Gedanken, altiranischem Glauben und vom verborgenen Imam-Dogma der Schiiten beeinflusst war. Er kam auf eine Doktrin und überschritt mit seinem spekulativen Diskurs die Grenzen des Korans.[2] Laut Max Horten (gest. 1945) galt Suhrawardī ursprünglich als strenger Aristoteles-Anhänger, aber mit der Zeit konnte die strenge Logik der aristotelischen Philosophie die zügellose Fantasiewelt Suhrawardīs nicht zufriedenstellen.[3] Roy Jackson, ein zeitgenössischer Forscher, findet die Fragen, die Suhrawardī nach dem Inhalt des Wissens stellte, mit denen sich die Menschen auch heute noch beschäftigen, anregend.[4]
Eines der wichtigsten Merkmale von Suhrawardī, das ihn von anderen in der Geschichte des islamischen Denkens unterscheidet, ist, dass er einen divergenten Weg zur Erkenntnis vorschlägt, mit der Behauptung, dass die Vernunft Grenzen aufweist und nicht ausreicht, um zur Wahrheit zu gelangen. Wirkliches Wissen wird ihm nach nur durch Erfahrung der Erleuchtung erlangt. Basierend auf solchen erkenntnistheoretischen und ontologischen Erklärungen von Suhrawardī werden die bisherigen Diskussionen darüber, ob er als Philosoph oder als Mystiker angesehen werden sollte, fortgesetzt.[5] In seinem Buch Ḥikmat al-Išrāq listet Suhrawardī die besten Schüler unter Berücksichtigung von der Philosophie und Sufismus wie folgt auf;
„Es gibt vielerlei Rangstufen [von Philosophen], und sie gliedern sich in die folgenden Klassen:
- ein göttlicher Philosoph, der in der göttlichen Weisheit beschlagen ist, dem das diskursive Denken jedoch gänzlich abgeht;
- ein diskursiver Philosoph, dem die göttliche Weisheit gänzlich abgeht;
- ein göttlicher Philosoph, der sowohl in der göttlichen Weisheit als auch im diskursiven Denken beschlagen ist;
- ein göttlicher Philosoph, der in der göttlichen Weisheit beschlagen, aber im diskursiven Denken nur mittelmäßig oder schwach ist;
- ein Philosoph, welcher im diskursiven Denken beschlagen, aber nur mittelmäßig oder schwach in der göttlichen Weisheit ist;
- ein Schüler sowohl der göttlichen Weisheit wie des diskursiven Denkens;
- ein Schüler, der allein nach der göttlichen Weisheit strebt;
- ein Schüler, der nur nach diskursiver Erkenntnis strebt.“[6]
Laut Suhrawardī ist der beste Weg, die Wahrheit zu verstehen, der Weg der Išrāqis, die beiden Seiten (Philosophie und Sufismus) vereinen.
Obwohl in der westlichen Welt lange Zeit die Ansicht herrschte, dass die islamische Philosophie, die durch Ġazzālī einen schweren Schlag erlitt, mit dem Tod von Ibn Rušd (Averroes) ein Ende gefunden haben soll, wird inzwischen behauptet, dass in der Realität die islamische Philosophie in der Form der Išrāqiyya im Osten und besonders im Iran fortgesetzt wurde.[7] Nach Suhrawardīs Tod gab es Denker, die von seinen Ideen beeinflusst waren. Es ist erwähnenswert, dass diese Denker in der Regel im heutigen Iran und seiner Umgebung leben. Šahrazūrī (gest. 1288?), der einer dieser Denker war, ist treuester Anhänger der Išrāqī-Tradition gewesen. Seine Kommentare zu Suhrawardīs Werken haben zu einem besseren Verständnis der Išrāqī-Philosophie und zu einer breiten Popularität dieser geführt.[8] Die anderen von der Išrāqī-Philosophie beeinflussten Namen waren: Naṣīr ad-Dīn aṭ-Ṭūsī (gest. 1274), Ibn Kammūna (gest. 1284), Quṭb ad-Dīn Šīrāzī (gest. 1311), Ğalāl ad-Dīn Dawwānī (gest. 1502), Mīr Dāmād (gest. 1502) Mulla Ṣadrā Šīrāzī (gest. 1641). Henry Corbin (gest. 1978) und Seyyed Hossein Nasr (geb. 1933) haben ebenso einen wichtigen Beitrag geleistet, indem sie die Išrāqī-Gedanken in der modernen Zeit wieder verbreiteten. Es sind Namen, die bei der Auseinandersetzung mit dieser Philosophie unabdingbar sind.
Im Folgenden wird versucht, Suhrawardīs Leben und seine Ideen über die Išrāqī-Philosophie näher zu betrachten.
1. Sein Leben
Der Denker, dessen vollständiger Name Abū-l-Futūḥ Šihāb ad-Dīn Yaḥyā b. Ḥabaš b. Amīrak as-Suhrawardī ist, wird von seinen Anhängern als Šayḥ al-Išrāq (Meister der Erleuchtung) bezeichnet. Um jedoch nicht mit Suhrawardī verwechselt zu werden, von denen einer ein Sufi und der andere ein Hadithgelehrter ist[9], ist es zur Tradition geworden ihn „al-Maqtūl“ (der Getötete) zu nennen.[10] Weshalb er „der Getötete“ bezeichnet wurde, wird unten erklärt.
Suhrawardī wurde 1153[11] in der Kleinstadt Suhraward in der Nähe der heutigen Stadt Zandschan im Nordwesten des Irans geboren. Da er in einer Familie mit einem umfangreichen wissenschaftlichen Hintergrund und in einer Stadt, in der sich die Bildungstradition der islamischen Wissenschaften angesiedelt hatte, geboren wurde, genoss er auch seine erste Ausbildung in dieser Umgebung. Nach seinem ersten Bildungsweg unternahm er Reisen, auf denen er bis zum Ende seines Lebens sein Interesse an der Wissenschaft befriedigen konnte. Er hatte zudem die Gelegenheit die islamische Welt in religiösen, kulturellen und politischen Aspekten kennenzulernen.[12]
In seiner frühen Jugend ging er nach Maragha, wo er Philosophie und Uṣūl al-fiqh bei Maǧd ad-Dīn al-Ğīlī, dem Lehrer von Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī, studierte. Er zog dann nach Isfahan, das zu dieser Zeit eines der wichtigsten Lernzentren Irans war, um seine Ausbildung fortzusetzen und studierte bei Ẓāhir al-Fārisī, der als Ẓāhir ad-Dīn al-Kārī bekannt wurde, Logik. Nach seiner Ausbildung in Isfahan unternahm Suhrawardī einige Reisen im Iran, wo er von den Begegnungen in sufischen Versammlungen stark beeinflusst wurde. Nachdem er seine Reisen im Iran abgeschlossen hatte, setzte Suhrawardī seine wissenschaftliche Reise in Anatolien fort.[13] Der Denker, der ein oder zwei Jahre in Südostanatolien blieb, wurde hier von vielen anatolisch-seldschukischen Herrschern und Gouverneuren gut aufgenommen.[14] Nach Isfahan und Maragha bereicherte Suhrawardī sein Wissen in den Bildungszentren dieser Zeit. Dazu gehören Diyarbakır, Silvan, Hani, Konya, Sivas, Harput, Mardin, Mosul, Damaskus und Bagdad.[15]
Während seiner Reisen durch Diyarbakır, das er gerne besuchte, lernte er den Emir von Harput ꜥImād ad-Dīn aus dem Staat Artukiden kennen und widmete sein Werk al-Alwāḥ al-ꜥImādiyya (ꜥImād ad-Dins Schreibtafel) dem Namen des Emirs.[16] Auf der anderen Seite knüpfte er eine Freundschaft mit Faḫr ad-Dīn al-Mardīnī (gest. 1198), der in Mardin lebte, und traf sich mit ihm in verschiedenen wissenschaftlichen Sitzungen. Es wird berichtet, dass al-Mardīnī in seinem engsten Kreis über die brillante Intelligenz des jungen Suhrawardī sprach und jedoch sein Unbehagen darüber äußerte, dass seine Unvorsichtigkeit zu seinem Tod führen könnte. Als ihn später die Nachricht von Suhrawardīs Mord erreichte, sprach er zu seinem engen Kreis: „Es geschah, wie ich befürchtete.“[17]
Der wichtigste Wendepunkt in Suhrawardīs Leben war sein Übergang von Anatolien nach Syrien. Der Denker ging 1183 nach Aleppo und freundete sich dort mit Malīk Ẓāhir an, dem Sohn von Ṣalāḥ ad-Dīn Ayyūbī. Es ist bekannt, dass Malīk Ẓāhir viel später von Ibn ʿArabīs Ideen beeinflusst wurde und sich mit diesem angefreundet hatte.[18] Suhrawardī besuchte die Vorlesungen von Iftiḥār ad-Dīn, dem Lehrer der Ḥallāwiya-Madrasa in Aleppo, und war eine Weile Gast in dieser Schule. Der Name Suhrawardī, der in wissenschaftlichen Debatten große Erfolge erzielte, verbreitete sich in kurzer Zeit. In dieser Zeit zieht Suhrawardī die Aufmerksamkeit von Malīk Ẓāhir, dem Emir von Aleppo, auf sich und trifft diesen auch. Suhrawardīs ausgesprochene Haltung, seine Unvorsichtigkeit bei der Erklärung der verborgenen Doktrinen jeder Art und vor allen Zuhörern, seine scharfe Intelligenz, welche ihm ermöglichte, alle seine Gegner in den Debatten zu besiegen sowie seine Beherrschung sowohl der logischen Philosophie als auch des Sufismus, führten dazu, dass er sich viele Feinde, insbesondere unter den Gelehrten, machte. Seine Nähe zu Malīk Ẓāhir spielt auch eine Rolle in Suhrawardīs Verfeindungen.[19]
Suhrawardīs Debatten mit den Gelehrten von Aleppo drehten sich nicht nur um Fiqh. Er verteidigte die religiösen Ideen der Philosophen auf kraftvolle sowie kühne Weise und beschuldigte diejenigen, die sich den Philosophen widersetzten, der Unwissenheit. Dies hat dazu geführt, dass einige der Gelehrten überreagierten. Die Wut der Gelehrten auf Suhrawardī, den Malīk Ẓāhir für seine intellektuelle und wissenschaftliche Überlegenheit schätzte, nahm zu und sie warfen dem Denker religiöse Häresie vor. Der Grund für diese Anschuldigungen waren seine Worte in einer bestimmten Debatte. Diese Debatte wurde zwischen Suhrawardī und den Aleppo-Gelehrten in einer Festung geführt, die in eine Moschee umgewandelt worden war. Gegenstand der Anklage war die Behauptung in den Werken des Philosophen, dass Allah in der Lage sei, einen Propheten zu schaffen, obwohl dies nicht mehr möglich ist. Die anwesenden Gelehrten schlossen aus den Antworten von Suhrawardī, dass er dies für möglich hielte, und sie entschieden, dass er, trotz des Widerspruchs zweier Gelehrten, ungläubig sei. Die Aleppo-Gelehrten appellierten zuerst an Malīk Ẓāhir, Suhrawardī zu töten und als sie sahen, dass Malīk Ẓāhir dies ablehnte, schrieben sie einen Brief an Sultan Ṣalāḥ ad-Dīn mit der Forderung der Hinrichtung des Philosophen. Ihre Begründung war, dass er die Religion beschädigt habe. Zudem warnten sie den Sultan, dass Suhrawardī den Glauben von seinem Sohn Malīk Ẓāhirs beschädigen würde und dass er bei Fortsetzung seiner Taten alle Menschen in die Irre führen könnte. Daraufhin sandte Ṣalāḥ ad-Dīn einen ausdrücklichen Brief an seinen Sohn und befahl darin die Ermordung von Suhrawardī. Folglich wurde das Todesurteil der Aleppo-Gelehrten erfüllt.[20]
Daraufhin wurde Suhrawardī 1191 getötet. Die Erzählungen über die Art seines Todes liefern uns jedoch keine klaren Informationen. Neben den Behauptungen, dass Suhrawardī inhaftiert und durch Verhungern verstorben sei, wird auch erzählt, dass er mit einer Schnur erwürgt oder mit einem Schwert hingerichtet worden sei.[21] Quellen zufolge bereute Malīk Ẓāhir nach einer Weile, was er getan hatte, und rächte sich an denen, die das Todesurteil gaben, auf verschiedene Weisen.[22]
Im XII. Jahrhundert lebte Suhrawardī in einer turbulenten Zeit, in der religiöse, politische, wirtschaftliche, ethnische und sektiererische Konflikte zwischen den Regierungen der Seldschuken, Artukiden, Ayyubiden, Abbasiden und Fatimiden stattfanden. Es kann gesagt werden, dass neben persönlichen Gründen auch die politisch-sozialen Bedingungen der Zeit jenen Prozess beeinflusst haben, welcher den tragischen Tod von Suhrawardī vorbereitete. Wie man sich erinnern mag, widmete Suhrawardī sein Werk al-Alwāḥ al-ꜥImādiyya dem Namen des Emirs ꜥImād ad-Dīn Abū Bakr ibn Karaarslan aus dem Staat Artukiden. Artukiden regierten in der Region Diyarbakır unter den Zengiden, einer weiteren türkischen Dynastie. Gerade als Suhrawardī nach Syrien einreiste, ging die Stadt Aleppo aus der Hand der Zengiden-Dynastie in die Kontrolle der Ayyubiden über. Während es eine solche Rivalität zwischen diesen beiden Mächten gab, wurde Suhrawardīs Anwesenheit in Aleppo bezweifelt, der zuvor ein Buch für einen rivalisierenden Emir geschrieben hatte und in einer engen Beziehung zum jungen Malīk Ẓāhir stand. Andererseits blieb die ernste Bedrohung, die die Ismailiten in dieser Stadt bis drei Jahre vor Suhrawardīs Ankunft schufen, weiterbestehen. Jedoch brauchte Ṣalāḥ ad-Dīn die soziale Führung sunnitischer Gelehrter gegen die Ismailiten, um die Stabilität in diesen neu eroberten Ländern zu bewahren und um seine eigene Autorität zu festigen. Daher wäre es undenkbar gewesen, dass er in der Diskussion zwischen Suhrawardī und den Gelehrten eine Haltung gegen sie einnehmen und sie somit brüskieren würde.[23]
2. Seine Werke
Die produktive Persönlichkeit von Suhrawardī, der in jungen Jahren starb[24], ist bemerkenswert. Šahrazūrī, ein treuer Anhänger Suhrawardīs, erwähnt 48 Werke von ihm.[25] Nachforschungen zu diesem Thema zeigen, dass die Zahl der nach Suhrawardīs Tod zurückgebliebenen Werke 102 beträgt.[26] Davon fehlen 24 Werke, die auf Arabisch und Persisch verfasst wurden.
In seiner Arbeit Opera Metaphysica et Mystica denkt Henry Corbin, dass Suhrawardīs Werke in Harmonie miteinander geschrieben wurden und jedes auf eine Weise auf den anderen bezogen ist. Zudem gliedert er Suhrawardīs Werke abhängig von diesem Verständnis in vier verschiedenen Klassen. Dementsprechend ist es möglich die prominenten Werke von Suhrawardī wie folgt zu klassifizieren:[27]
- Vier wichtige doktrinäre- und Tutorial-Bücher: Diese Werke, die alle auf Arabisch verfasst sind, bestehen aus einem Quartett, welche sich zuerst mit der Maššāī-Philosophie und dann mit der Išrāqī-Theosophie beschäftigt, die auf der Maššāīs Grundlage aufbaute. Diese mit der aristotelischen Philosophie zusammenhängenden Werke, sind Kitāb at-Talwīḥāt al-Lawḥiyya wa-lꜥAršiyya (Das Buch der Andeutungen über die himmlische Tafel und den himmlischen Thron), Kitāb al-Muqāwamāt (Das Buch der Gegenreden), Kitāb al-Mašāriꜥ wa l-Muṭāraḥāt (Das Buch der Pfade und Diskussionen) und Ḥikmat al-Išrāq (Die Weisheit/Philosophie der Erleuchtung [sein Magnum Opus])[28].
- Abhandlungen, die die oben genannten Werke einfacher und kürzer beschreiben, sind folgende: Hayākil al-Nūr (Lichtgestalten), al-Alwāḥ al-ʿImādiyya (ꜥImād ad-Dins Schreibtafel), Partau-nāma (Buch des Lichtglanzes), Fī Iʿtiqād al-Ḥukamā (Zum Glauben der Weisen/Philosophen), Al-lamaḥāt (Lichtscheine), Yazdān Šināḫ (Gotteslehre) und Bustān al-Qulūb (Der Garten der Herzen).
- Symbolische und mystisch persische Werke, die den Weg der Seele durch den Prozess der Erleuchtung beschreiben: ʿAql-i Surḫ (Der rote Intellekt), Āvāz-ı Par-i Ǧabrāīl (Der Klang des Flügelschlags Gabriels), Qiṣṣat al-Ġurbat al-Ġarbiyya (Die Erzählung vom westlichen Exil), Luġat-i Murān (Die Sprache der Ameisen), Risāla fī Ḥālat aṭ-Ṭufuliyya (Über die Kindheitszustände), Rūzī bā Ǧamāʿat-i Sūfiyān (Ein Tag in der Gesellschaft der Sufis), und Ṣafīr-i Sīmurġ (Der Pfiff des Simurgh).
- Kommentare und Übersetzungen von philosophischen und heiligen Texten aus früheren Perioden wie die Übersetzung von Ibn Sīnās Risāla aṭ-Ṭayr ins Persische und die Kommentare zu Ibn Sīnās Werk Išārāt.
- Die Gebetsbücher, die von Šahrazūrī al-Wāridāt wa at-Takdīsāt genannt wurden.
3. Suhrawardīs philosophische Quellen
Suhrawardī erklärt, dass er einst ein eifriger Verteidiger der muslimischen Peripatetiker gewesen sei, habe sich jedoch von dieser Auffassung verabschiedet, als er „das Zeichen und die Warnung seines Herrn“ sah. Er habe sich zu der Išrāqī-Philosophie gewandt, als er die Wahrheit sah, die von Hermes, Platon, Zarathustra, Kai Chosrau und anderen gesehen wurde.[29]
Suhrawardī glaubt, um die Išrāqī-Philosophie verstehen zu können, die er vertritt, muss die Philosophie der muslimischen Peripatetiker/Maššāīs gelesen und verstanden werden. Obwohl er einige der Ideen der muslimischen Peripatetiker kritisiert, wissen wir, dass er in seiner Jugend Maššāī-Philosophie studierte und in den folgenden Jahren Werke auf diesem Gebiet verfasste.
„Vor diesem Buch und während mich Unterbrechungen von der Arbeit daran abhielten, habe ich euch Bücher nach der Methode der Peripatetiker verfaßt, in denen ich ihre Lehren resümiert habe. Hierzu gehören das kurze Überblickswerk Andeutungen über die himmlische Tafel und den himmlischen Thron, welches trotz seines geringen Umfangs eine Zusammenfassung zahlreicher Lehren enthält, und Die Lichtscheine.“[30]
Suhrawardī sah keinen Schaden darin, um eigene Weltanschauung mit Ideen zu ergänzen, die für ihn nützlich sind. Diese sind Ideen aus der Maššāī-Philosophie sowie dem Zoroastrismus, Pythagoreismus, Platonismus, Hermetismus und vielen anderen Traditionen.
„Meine Ausführungen über die Wissenschaft der Lichter und alles, was sich darauf gründet, verdanken sich der Hilfe all jener, welche den Weg des mächtigen und gewaltigen Gottes eingeschlagen haben. Diese Ausführungen stimmen überein mit der mystischen Erfahrung des mächtigen und erleuchteten Platon, des Führers und Meisters der Philosophie, und aller, die ihm von Hermes, dem Vater der Philosophie, bis zu seiner eigenen Zeit vorausgegangen sind, unter ihnen solche gewaltigen Größen der Philosophie wie Empedokles (gest. 435 v. Chr.) und Pythagoras (gest. 496 v. Chr.). Die Worte der Alten sind symbolisch und können nicht Gegenstand einer Widerlegung sein; selbst wenn eine solche Widerlegung auf den Wortlautihrer Äußerungen zielt, so trifft sie doch nicht deren eigentlichen Sinn, denn ein Symbol kann nicht widerlegt werden.“[31]
In der Fortsetzung des obigen Textes, welche in der Einleitung des Buches mit dem Titel Ḥikmat al-Išrāq zu finden ist, offenbart Suhrawardī den Inhalt der Weisheit und dessen Beziehung zu früheren philosophischen Lehren. Seiner Meinung nach verwendete die alte Weisheit zwei verschiedene Methoden; die eine auf dem Nachweis der Forschung und der Untersuchung (rationales Wissen) basierende und die zweite auf mystischer Erfahrung (intuitives Wissen) basierende Methode. Der Anführer der ersten Methode ist Aristoteles und der der zweiten ist Platon. Platon wird als Fortsetzung und Vertreter der alten zoroastrischen Philosophie dargestellt, die durch das Licht symbolisiert wird. Alle Weisen und Philosophen der alten Welt (mit Ausnahme von Aristoteles) und die alten iranischen Weisen, die die Methode der Entdeckung und Erleuchtung anwenden, gelten als Išrāqī. Hermes, der Vorfahr der Weisen, Platon, der Führer der Weisheit, Empedokles und Pythagoras, die als die Säulen der Weisheit gezählt werden, sind jedoch die prominentesten Gestalten der Weisheit der Išrāqīs. Diese Weisen mussten wegen der Unwissenheit der Menschen ihre Gedanken mit Symbolen ausdrücken. Suhrawardī weist auch darauf hin, dass die alte iranische Weisheit, die auf Licht und Dunkelheit basiert, keine Beziehung zum System der ungläubigen Madschūsiten (Feueranbeter bzw. Zoroastrier) und Manichäer hat.[32]
Wie ersichtlich erwähnt Suhrawardī in seinen Werken häufig die Quellen seiner Ideen. Zum Beispiel basieren die Symbolik des Lichtes und der Dunkelheit sowie die Terminologie der Wissenschaft der Engel auf dem Zoroastrismus. Da er sich auf so viele Quellen bezog, wäre es nicht richtig zu glauben, dass er versuchte, eine eklektische Doktrin aufzustellen. Was er zu tun versuchte, war, die Weisheit, von der er glaubte, dass sie von Anfang an in der Welt existierte, wieder zu vereinen. Ihm zufolge wurde die Weisheit[33] von den Indern, den Iranern, den Babyloniern und den Ägyptern, an die Griechen weitergegeben. Laut Suhrawardī, der die Philosophie mit der Weisheit gleichsetzt, beginnt die Philosophie nicht mit Platon und Aristoteles, sondern endet mit Ihnen. Denn Aristoteles hat die Weisheit eingeschränkt, indem er sie in eine rationale Form setzte.[34]
Eine weitere Tradition, die unter den Quellen von Suhrawardī erwähnt werden sollte, ist der in der islamischen Welt auftauchende Sufismus. Ersichtlich ist, dass Suhrawardī, der sich in seiner Kindheit in einer Sufi-Umgebung befand, in seinen Werken hin und wieder auf die führenden Namen des Sufismus verwies. Die Namen Ḏū n-Nūn al-Miṣrī (gest. 859), Sahl ibn ʿAbdallāh at-Tustarī (gest. 896), Abū Yazīd al-Bistāmī (gest. 848?), Manṣūr al-Ḥallāǧ (gest. 922) und Abū al-Ḥasan al-Ḫarakānī (gest. 1033) sind besonders erwähnenswert.[35]
Laut Suhrawardī wurde die Weisheit durch Hermes zu den Menschen gesandt. Diese Weisheit wurde später in zwei Zweige geteilt, wobei einer dieser beiden Iran erreichte und der andere Ägypten. Nach Ägypten erreicht dieser später Griechenland und setzt seinen Weg mit Pythagoras, Empedokles und Platon fort. Nach der Ankunft des Islams begegneten die Muslime allen beiden Quellen in den neu eroberten Gebieten. Suhrawardī sah sich als der zentrale Punkt, der beide Ressourcen wieder vereinte.[36]
4. Die Philosophie der Erleuchtung/Die Illuminationsphilosophie (Išrāqīyya)
Das Wort Išrāq, abgeleitet von der Wurzel š-r-q (شرق), bedeutet laut Wörterbuch „der Schein beim Sonnenaufgang, Leuchten, Erleuchtung, der Glanz und die Aufhellung “. Mašriq stammt von derselben Wurzel und bezieht sich geografisch auf den Osten. Als Begriff wird Išrāq epistemologisch für das Wissen verwendet, das auf direkter Erleuchtung von Wissen, innerer Erleuchtung und Entdeckung (spirituelle Erfahrung) basiert, ohne die Notwendigkeit einer Argumentation oder eines Wissensmittels. Ontologisch ist Išrāq das Auftauchen und die Realisierung der Existenz aufgrund der Manifestation des Lichts der Vernunft. Gleichzeitig wird Išrāq in einem moralischen Sinn verwendet, wie die Tatsache, dass der menschliche Geist durch die Manifestation des göttlichen Lichts erleuchtet, gereinigt und am Ende vollkommen wird. Išrāq symbolisiert auch, dass das Vaterland des Lichts und der Erleuchtung im geographischen Sinne die östliche Weisheit ist. In der Geschichte des islamischen Denkens ist der Begriff Išrāqiyya der Name des theosophischen Gedankensystems, das auf mystischer Erfahrung und Intuition (kašf/Enthüllung) basiert, welche im Gegensatz zur rationalistischen Maššāī-Philosophie steht, bei der die Argumentation (istidlāl) als Quelle des Wissens darstellt. Išrāqiyyūn drückt die Schule aus, die von den Anhängern dieses Denkens erzeugt wird.[37] Išrāqiyya, dessen Begründer in der islamischen Ideengeschichte als Suhrawardī gilt, kann als die letzte Stufe der östlichen Philosophie angesehen werden, die Philosophen wie Fārābī (gest. 950) und Ibn Sīnā (gest. 1037) zu etablieren versucht hatten, aber nicht vollständig systematisieren konnten.
Gegen Ende seines Lebens wies Ibn Sīnā darauf hin, dass seine Werke wie Šifā und Nağāt für das Volk geschrieben worden seien und dass er ein umfassenderes Werk namens al-Ḥikmat al-Mašriqiyya für die Elite verfassen werde. Ibn Sīnā gibt uns diese Informationen in einer Abhandlung, die er als Einführung in das erwähnte Werk schrieb. Leider gibt es außer dem Abschnitt Manṭiq al-Mašriqiyya keinen Text zum Rest der fraglichen Arbeit.[38] Basierend auf den Werken von Ibn Sīnā kann man verstehen, dass er unter Berücksichtigung der Sufi-Erfahrungen an einer östlich-philosophischen Tradition arbeitete. Die Grundlagen der östlichen Philosophie, über die Ibn Sīnā aufgrund seines kurzen Lebens keine detaillierte Erklärung abgeben konnte, wurden von Suhrawardī gelegt, der etwa ein Jahrhundert nach ihm auftrat.
Obwohl es Unterschiede in dem Verständnis zwischen der östlichen Weisheit Suhrawardīs und der Ibn Sīnās gab, setzte Suhrawardī mit seinen Arbeiten die unvollendeten Bemühungen seines Meisters an der Išrāqī-Philosophie fort. Er übernimmt sogar den Begriff „Mašriq“, den Ibn Sīnā in seiner Arbeit Ḥayy bin Yaqẓān verwendete. Er lobt Ibn Sīnā für die Fortsetzung der Tradition des Schreibens symbolischer Epen zum Zweck der spirituellen Führung in dem von ihm erwähnten Werk. An der Stelle, an der Ibn Sīnā auf halber Strecke aufbrach, impliziert er, dass er die gleiche Tradition selbst mit dem Werk Qiṣṣat al-Ġurbat al-Ġarbiyya fortsetzte und weiterführte. Aus diesem Grund rief Suhrawardī, diejenigen, die die Išrāqī-Philosophie verstehen wollten, dazu auf seine eigenen Werke zu untersuchen. [39]
Es sollte nicht vergessen werden, dass Ibn Ṭufail (gest. 1186), der ein Zeitgenosse von Suhrawardī war und in einem anderen Gebiet lebte, ein ähnliches Bestreben hatte. Ibn Ṭufaīl, der gebeten wurde, ein Buch zu schreiben, um die Arbeit von Ibn Sīnās Ḥayy bin Yaqẓān zu verstehen, verfasste einen gleichnamigen Roman. Mit seiner Arbeit Ḥayy bin Yaqẓān fī Asrār al-Ḥikmat al-Mašriqiyya [40] will Ibn Ṭufaīl einen Beitrag zum Studium der östlichen Philosophie leisten.
5. Die Lichtmetaphysik
In Suhrawardīs Philosophie wird die Existenz durch das Licht und die Dunkelheit erklärt. Das Licht wird in der Išrāq-Perspektive mit der Existenz identifiziert und die ontologische Hierarchie wird als Lichtrang dargestellt. Die ontologische Hierarchie, die in Ḥikmat al-Išrāq angenommen wird, fungiert genauso wie die Emanationstheorie (ṣudūr) als Haupttheorie, die in der Philosophie von Fārābī und Ibn Sīnā dargelegt wurde. Nach der Erleuchtungsphilosophie bestehe das Universum aus dem Licht und aus den Dunkelheitsgraden, welche die Abwesenheit des Lichtes bedeuten. Objekte mit materiellen Aspekten seien Hindernisse, welche das Durchscheinen von Licht verhindern.[41] Die Grundlage für Suhrawardīs Lichtmetaphysik ist im Koran, vor allem in der Sure An-Nūr (Das Licht), enthalten.[42]
Suhrawardī beschreibt das Licht als das Offensichtliche, das in der Entität nicht definiert und erklärt werden muss, und sieht es als ein Objekt, das keinen anderen braucht und aber andere Wesen offenbart.[43] Das angesprochene Licht hat eine unendliche Anzahl von Graden. Der höchste Rang wird „Nūr al-Anwār“ (Licht der Lichter) genannt. Das Licht der Lichter ist die Quelle aller Wesen. Indem es sich den Objekten zeigt, die die Existenz erlangen, gibt es ihnen dadurch die Existenz. Diese Großzügigkeit von ihm hat keine Grenzen.[44] Seine Beziehung zur Existenz von Objekten ähnelt der Beziehung zwischen der Sonne und den Sonnenstrahlen.[45] Nach Suhrawardī, der Licht der Lichter, den er mit Gott identifiziert und als ein einziges und notwendiges Wesen sieht, sind alle anderen Wesen auf der Welt mögliche Wesen und brauchen ihn.[46] Suhrawardī ist sich bewusst, dass die Behauptung, dass eine Pluralität aus einer Einheit hervorgeht, die „wahre Eins“ genannt wird, ein philosophisches Problem verursachen würde und um dieses Problem zu lösen, greift er auf das Prinzip „Aus dem Einen geht nur das Eine hervor“ zurück.[47] Diese Aussagen Suhrawardīs über das Verhältnis zwischen dem obligatorischen und dem möglichen Wesen, in Bezug auf die Entstehung des Universums, erinnern uns an die muslimischen Peripatetiker. Wie bereits erwähnt, erklärt er die Entstehung der Existenz im Universum, genau wie die muslimischen Peripatetiker, mit der Emanationstheorie.[48]
Dementsprechend kommt das Eine aus dem wahren Nūr al-Anwār (Licht der Lichter) hervor, und dieses Eine ist auch ein Licht, genau wie das Licht der Lichter. So wie es nicht möglich ist, dass zwei Lichter aus dem Licht der Lichter kommen, so ist es auch nicht zu erwarten, dass Dunkelheit aus ihm hervorgeht. Es gibt jedoch noch eine Reihe von Unterschieden zwischen diesem austretenden neuen Licht und dem ersten Licht. Dieses neue Licht, das Suhrawardī „Nūr al-Aqrab“ (das nahegelegenste Licht) nannte, ist kein Licht, das allein existieren kann, sondern ein Licht, dass das erste Licht braucht, um existieren zu können. Dieses neue Licht, das auf diese Weise entstanden ist, wird den Namen „das mögliche Wesen“ annehmen, im Gegensatz zu dem notwendigen Wesen, das niemanden braucht, um zu existieren. Aus Nūr al-Aqrabs Blick auf sich selbst und dem ersten Licht, aus dem es hervorging, ergeben sich zwei Ergebnisse; Wenn es sich selbst ansieht, sieht es, dass es ein bedürftiges Wesen ist und erkennt, dass es dunkler ist als das erste Licht. Dieser erwähnte dunkle Bereich ist wie ein Schatten. Dieser Schatten ist ein Objekt, von dem es nichts Größeres als sich selbst gibt und ist die äußerste Himmelssphäre (falak). Und wenn es auf das erste Licht schaut, von dem es auftauchte, tauchte ein anderes Licht aus dieser Sicht auf. Wie zu sehen ist, sind in dieser neuen Situation der Himmelssphäre der Schatten von Nūr al-Aqrab und das neu enthüllte Licht das Leuchten von ihm. Das resultierende dritte Licht wird auch wie Nūr al-Aqrab fungieren und das Entstehen neuer Licht- und Himmelssphären verursachen. Diese Bewegung setzt sich nach unten fort, ohne anzuhalten. Angesichts der Tatsache, dass jeder Stern im All ein Schatten eines Lichts ist, stellt sich heraus, dass es so viel Licht gibt wie auch es Sterne. Diese Hierarchie von Lichtern wird eben wie bereits erwähnt von oben nach unten fortgesetzt werden. Das untere Licht beobachtet ständig das obige und das obere beleuchtet ständig das untere.[49] Das untere Licht liebt ständig das obere und das obere Licht beherrscht ständig das untere.[50] Man kann daher sagen, dass Suhrawardīs Hierarchie der Lichter, mit der er das Universum erläutert, nach den Prinzipien „Liebe-Herrschaft“ und „Armut-Reichtum“ gestaltet ist.
Andererseits befinden sich nach Suhrawardī die engelsartigen Materien zwischen dem Licht der Lichter und der Welt der Schatten (Hierarchie der Lichter), in der wir leben. Jede Seele hat eine Präexistenz in diesem Bereich, bevor sie auf dem Gebiet der Körper landet. Beim Betreten in den Körper wird die Seele in zwei Teile geteilt, einer verbleibt im Himmel und der andere steigt in das Körpergefängnis herab. Daher ist der Mensch auf der für ihn fremden Welt ständig unglücklich und wird erst das Glück erlangen, wenn er sich mit der anderen Hälfte, dem ‚himmlischen Selbst‘, vereint.[51] Die Welt ist eine Exil-Zone für die Menschheit.
Fazit
Suhrawardī kam auf die Bühne der Geschichte, durch die Kombination des auf der Emanationstheorie basierenden ontologischen Verständnisses der muslimischen Peripatetiker mit dem auf der Eröffnung basierenden erkenntnistheoretischen Ansatz der Sufis, um die Weisheitstradition des Ostens wiederzubeleben, die auf Hermes zurückgeht. Er war ein Denker, der leider den Preis seiner Ideen mit seinem Leben bezahlte. Wie bei fast allen anderen ähnlichen Beispielen, stecken hinter den Ermordungen solcher Denker politische Abrechnungen und Intrigen, wie es auch bei Suhrawardī der Fall war.
Trotz einer kurzen Lebensdauer von ungefähr 37 Jahren reiste Suhrawardī an viele Orte, nahm Unterricht bei verschiedenen Lehrern, gründete eine Schule, die tiefe Spuren in der islamischen Ideengeschichte hinterlassen hat, und hinterließ viele Werke, die die Išrāqī-Schule erklären. Aus dieser Sicht wird deutlich, dass er ein hervorragender Denker war.
Die philosophischen Quellen von Suhrawardī sind sehr vielfältig. Wir wissen, dass er von der altgriechischen, ägyptischen, indischen und persischen kulturellen Akkumulation profitierte. Er erreichte eine Synthese aus der intellektuellen Anhäufung seines kulturellen und geografischen Umfelds und kombinierte sie mit der antiken Philosophie und sah das Ergebnis als den am besten geeigneten Weg zur Wahrheit an. In seinen Werken ist zu sehen, dass seine Ideen durch Zitate aus Koranversen und Hadithen in ein islamisches Muster gegossen wurden. Die Weisheit der Išrāqī hatte vor allem auf diese Weise auf die Schiiten großen Einfluss.
Nach Suhrawardī ist die Išrāqī-Philosophie/der Illuminismus überlegen, weil sie/er die Maššāī-Philosophie mit Sufi-Methoden ergänzt. Er zögert nicht, die muslimischen Peripatetiker in verschiedenen Themen zu kritisieren. Er behauptet, dass sie die Wahrheit nicht erreichen können, weil sie sich nur mit dem rationalen Wissen ohne das intuitive Wissen begnügen. Er kritisiert ihre Erklärungen, welche sie zur Unterscheidung zwischen dem Sein und der Quiddität geben, findet ihr Verständnis zur Seele unzureichend und akzeptiert Aristoteles‘ Ablehnung der Idee der Archetypen/Ideen nicht.
In den Händen von Suhrawardī wurden platonische und aristotelische Philosophien mit zoroastrischen und hermetischen Ideen kombiniert und in den Sufismus hineingearbeitet. Um diese neue Schule, die Išrāqī-Weisheit genannt wird, zu verstehen, ist dies laut Suhrawardī nur möglich, wenn man über das rationale sowie über das intuitive Wissen zusammen verfügt. Von denen, die über eines davon verfügen, wird nicht erwartet, dass sie dieses System verstehen. Das intuitive Wissen zu erhalten ist jedoch nicht einfach, da es nur möglich ist, indem man sich hinsichtlich irdischer Handlungen wie Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr bändigt. Jemand, der dieses Wissen erhält, ist jemand, der die Welt der Lichter kontaktiert und das Geheimnis des Gegenstandes lernt und somit die Erleuchtung erlebt.
In seinen drei Werken Ḥayy bin Yaqẓān, Risālat aṭ-Ṭayr und Salāmān wa Absāl beschrieb Ibn Sīnā den Westen als die Heimat der Finsternis und den Osten als die Heimat des Lichts. Suhrawardī übernahm diese Unterscheidung und neigte dazu die Welt in einer horizontalen Ebene zu erklären. In diesem Richtungssystem ist der Osten der Ort des reinen Lichts, dem die Materialität völlig entzogen ist und der Ort der Engel, während der Westen die Welt des Materials ist. Der Begriff Išrāq, der die Bedeutung der Erleuchtung und des Ostens in sich vereint, symbolisiert, dass die Sonne, um alles zu beleuchten, aus dem Osten aufgeht und daher das Land des Lichts dasselbe wie die Weisheit und die Erleuchtung ist. Der Westen hingegen ist das Land der Materie und des rationalen Denkens, ebenso wie der Ort, an dem die Sonne untergeht und die Dunkelheit herrscht.
Bibliographie
Bekiryazıcı, Eyüp: „Sühreverdî’nin Yaşadığı Dönemde Tarihsel ve Siyasi Koşullar“. In: Sühreverdî ve İşrâk Felsefesi. Ed. M. Nesim Doru u.a. Ankara: Otto Yayınları, 2014.
Brockelmann, Carl F.: Geschichte der arabischen Literatur. Leipzig: C. F. Amelang, 1909.
Cihan, Ahmet Kamil: „Şihabeddin Sühreverdî’nin Eserleri“. In: Erciyes Üniversitesi Sosyal Bilimler Enstitüsü Dergisi 1:11 (2001), 211-221.
Cihan, Ahmet Kamil: „Sühreverdî ve İşrâkîlik“. In: İslam Felsefesi – Tarih ve Problemler. Ed. M. Cüneyt Kaya. Istanbul: İSAM, 2016. 397-427.
Corbin, Henry: History of Islamic Philosophy. Trans. Liadain Sherrard. New York: Routledge, 2016.
Hendrich, Geert: Arabisch-islamische Philosophie. Geschichte und Gegenwart. Frankfurt: Campus Verlag, 2005.
Horten, Max: Die Philosophie der Erleuchtung nach Suhrawardi (gest. 1191). Übersetzt und erläutert. Halle: Max Niemeyer, 1912.
Ibn Tufeyl: Hayy bin Yakzân. Çev. Yusuf Özkan Özburun. Istanbul: İnsan Yayınları, 2003.
Jackson, Roy: İslam Felsefesi. Vom Englischen ins Türkische übersetz von Atilla Alan. Istanbul: Litera Yayıncılık, 2017.
Kaya, Mahmut: „İşrâkiyye“. In: DİA (Diyanet İslam Ansiklopedisi): 23 (2001), 435-438.
Kaya, Mahmut: „Meşşâiyye“. In: DİA: 29 (2004), 393-396.
Kılıç, Cevdet: „Sühreverdî’nin Varlık Düşüncesinde Nurlar Hiyerarşisi ve Meşşâî Felsefe İle Karşılaştırılması“. In: Fırat Üniversitesi İlahiyat Fakültesi Dergisi 13:2 (2008), 55-72.
Kutluer, İlhan: „Sühreverdî“. In: DİA: 38 (2010), 36-40.
Nasr, S. Hossein: Three Muslim Sages. New York: Caravan Books, 1997.
Ritter, Hellmut: „Philologika IX: Die vier Suhrawardī, ihre Werke in Stambuler Handschriften“. In: Der Islam 24 (1937), 270-286; 25 (1938), 35-86.
Suhrawardī, Shihāb al-Dīn: Philosophie der Erleuchtung-Ḥikmat al-İšrāq. Aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Nicolai Sinai. Berlin: Insel, 2011.
Sühreverdî, Şihâbuddin: „Nur heykelleri (Heyâkilu’n-Nûr)“. In: Nur Heykelleri-Tasavvuf Kelimesi-Burçlar Risalesi. Ed. Ahmet Kamil Cihan. Istanbul: Litera Yayıncılık, 2017.
Sühreverdî, Şihâbuddin: İşrak Felsefesi / Hikmetü’l-İşrâk. Vom Arabischen ins Türkische übersetz von Tahir Uluç. Istanbul: İz Yayıncılık, 2009.
Sühreverdî, Şihabüddin: El-Elvâhu’l-İmâdiyye. Vom Arabischen ins Türkische übersetz von Ahmet Cihan Kamil u.a. Istanbul: Türkiye Yazma Eserler Kurumu Başkanlığı Yayınları, 2017.
Şehrezûrî, Şemsüddin: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh. Vom Arabischen ins Türkische übersetz von Eşref Altaş. Istanbul: Türkiye Yazma Eserler Kurumu Başkanlığı Yayınları, 2015.
Vorländer, Karl: Geschichte der Philosophie. Leipzig: Verlag der Dürr’schen Buchhandlung, 1908.
[1] Das Wort „Maššāi“ ist das arabische Äquivalent des Wortes Peripatos und „Maššāiyyūn“, Peripatetiker. Peripatos ist der Name der philosophischen Schule des Aristoteles. Das Begriff „Peripatetiker“ wird praktisch im Sinne von „Vertreter/Anhänger der Lehre des Aristoteles“ verwendet. Vgl. Corbin: History of Islamic Philosophy, 153; Vorländer: Geschichte der Philosophie, I:119; Kaya: „Meşşâiyye“, 393-396.
[2] Brockelmann: Geschichte der arabischen Litteratur, 181.
[3] Horten: Die Philosophie der Erleuchtung nach Suhrawardi, V.
[4] Jackson: İslam Felsefesi, 118.
[5] Hendrich: Arabisch-islamische Philosophie, 128.
[6] Suhrawardī: Philosophie der Erleuchtung-Ḥikmat al-İšrāq, 11-12.
[7] Vgl. Corbin: History of Islamic Philosophy, 205; Three Muslim Sages, 56.
[8] Cihan: „Sühreverdî ve İşrâkîlik“, 422.
[9] Für eine Studie der Manuskripte von vier berühmten Suhrawardīs mit dem gleichen Namen, siehe: Ritter: Philologika IX: Die vier Suhrawardī, ihre Werke in Stambuler Handschriften.
[10] Corbin: History of Islamic Philosophy, 206; Kutluer: „Sühreverdî”, 39.
[11] Es gibt auch Quellen, die das Geburtsdatum mit 1154 oder 1155 angeben. Vgl. Corbin: History of Islamic Philosophy, 205; Nasr: Three Muslim Sages, 56; Kutluer: „Sühreverdî”, 36.
[12] Bekiryazıcı: „Sühreverdî’nin Yaşadığı Dönemde Tarihsel ve Siyasi Koşullar“, 26-27.
[13] Vgl. Şehrezûrî: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh, 868; Nasr: Three Muslim Sages, 57; Bekiryazıcı: „Sühreverdî’nin Yaşadığı Dönemde Tarihsel ve Siyasi Koşullar“, 27.
[14] Corbin: History of Islamic Philosophy, 205-206.
[15] Bekiryazıcı: „Sühreverdî’nin Yaşadığı Dönemde Tarihsel ve Siyasi Koşullar“, 28.
[16] Şehrezûrî: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh, 36.
[17] Şehrezûrî: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh, 874; Kutluer: „Sühreverdî“, 37.
[18] Corbin: History of Islamic Philosophy, 206; Kutluer: „Sühreverdî”, 37.
[19] Vgl. Şehrezûrî: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh, 872-874; Nasr: Three Muslim Sages, 57; Bekiryazıcı: „Sühreverdî’nin Yaşadığı Dönemde Tarihsel ve Siyasi Koşullar“, 33-34.
[20] Vgl. Şehrezûrî: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh, 872-874; Kutluer: „Sühreverdî“, 38.
[21] Şehrezûrî: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh, 872.
[22] Şehrezûrî: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh, 874.
[23] Vgl. Kutluer: „Sühreverdî“, 38.
[24] Obwohl es verschiedene Informationen über die Geburtsdaten und den Tod gibt, ist es sehr wahrscheinlich, dass er im Alter von 36 oder 38 Jahren starb. Siehe Şehrezûrî: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh, 874.
[25] Şehrezûrî: Nüzhetü’l-Ervâh ve Ravzatü’l-Efrâh, 876-878.
[26] Siehe Cihan: „Şihabeddin Sühreverdî’nin Eserleri“, 10.
[27] Nasr: Three Muslim Sages, 58-59.
[28] Diese Arbeit wurde von Nicolai Sinai ins Deutsche übersetzt. Siehe Shihāb al-Dīn al-Suhrawardī: Philosophie der Erleuchtung-Ḥikmat al-išrāq. Aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Nicolai Sinai. Berlin: Insel, 2011.
[29] Sühreverdî: Hikmetü’l-İşrâk, 156.
[30] Suhrawardī: Philosophie der Erleuchtung-Ḥikmat al-išrāq, 10.
[31] Suhrawardī: Philosophie der Erleuchtung-Ḥikmat al-išrāq, 10-11.
[32] Sühreverdî: Hikmetü’l-İşrâk, 26-27.
[33] Sühreverdî: Hikmetü’l-İşrâk, 27.
[34] Nasr: Three Muslim Sages, 61.
[35] Vgl. Nasr: Three Muslim Sages, 62; Cihan: „Sühreverdî ve İşrâkîlik“, 403-404.
[36] Vgl. Sühreverdî: Hikmetü’l-İşrâk, 26-27; Nasr: Three Muslim Sages, 62.
[37] Kaya: „İşrâkiyye“, 435.
[38] Nasr: Three Muslim Sages, 43.
[39] Corbin: History of Islamic Philosophy, 207.
[40] Siehe İbn Tufeyl: Hayy bin Yakzân. Istanbul: İnsan Yayınları, 2003.
[41] Nasr: Three Muslim Sages, 67-69.
[42] „Allah ist das Licht der Himmel und der Erde. Das Gleichnis seines Lichtes ist das einer Nische, in der eine Lampe ist. Die Lampe ist in einem Glas. Das Glas ist, als wäre es ein funkelnder Stern. Ihr Brennstoff kommt von einem gesegneten Baum, einem Ölbaum, weder östlich noch westlich, dessen Öl beinahe schon Helligkeit verbreitete, auch wenn das Feuer es nicht berührte. Licht über Licht. Allah führt zu Seinem Licht, wen Er will. Allah prägt den Menschen die Gleichnisse, und Allah weiß über alles Bescheid.“ (Das Licht 24:35)
[43] Sühreverdî: Hikmetu’l-İşrâk, 117-119.
[44] Sühreverdî: Hikmetü’l-İşrâk, 141.
[45] Vgl. Sühreverdî: „Nur heykelleri“, 46; Sühreverdî: El-Elvâhu’l-İmâdiyye, 92.
[46] Vgl. Sühreverdî: Hikmetü’l-İşrâk, 130-132; Sühreverdî: El-Elvâhu’l-İmâdiyye, 78-88; Sühreverdî: „Nur heykelleri“, 40-41.
[47] Vgl. Sühreverdî: Hikmetü’l-İşrâk, 133; Sühreverdî: El-Elvâhu’l-İmâdiyye, 96.
[48] Vgl. Sühreverdî: El-Elvâhu’l-İmâdiyye, 98; Kılıç: „Sühreverdî’nin Varlık Düşüncesinde Nurlar Hiyerarşisi“, 63.
[49] Vgl. Sühreverdî: Hikmetü’l-İşrâk, 134-135, 144-146; Sühreverdî: El-Elvâhu’l-İmâdiyye, 104.
[50] Sühreverdî: Hikmetü’l-İşrâk, 142-143.
[51] Nasr: Three Muslim Sages, 73-74.