No. 269

Denkschrift
zum historischen Entwicklungsprozess und zur Beendigung der Kooperation der Hessischen Landesregierung mit der DITIB den islamischen Religionsunterricht betreffend

No.  269 (2020)

Von Fuat Kurt[1] und Hüseyin Kurt[2]

Der bekenntnisorientierte Islamische Religionsunterricht nach Artikel 7.3 GG in der Verantwortung des DITIB Landesverbandes Hessen ist vom Hessischen Kultusministerium einseitig beendet worden.

Auch uns als Ko-Architekten dieses Unterrichts von islamischer Seite hat diese unerwartete Entwicklung außerordentlich betroffen gemacht. Was uns hierbei besonders nachdenklich macht, ist, dass bestimmte Personen und Organisationen, die im Prozess der Anerkennung des DITIB Landesverbandes als Religionsgemeinschaft und der Einführung des bekenntnisorientierten Islamischen Religionsunterrichts von Anfang an versucht haben, diesen Prozess zu verhindern, ohne Kenntnisse von unseren Bemühungen zu haben und ohne sich die Hintergründe der Entwicklungen, die zur Beendigung der Kooperation geführt haben, zu vergegenwärtigen und sich stattdessen  unter Missachtung jeglicher Höflichkeits- und Respektsgrundsätze in sozialen Medien und mit destruktiven Presseerklärungen zu Wort melden.

Daher halten wir als Ko-Architekten es für dringend geboten, die Öffentlichkeit aus erster Hand sachkundig zu informieren. Zunächst werden wir versuchen zu erklären, warum sich in dem zunächst in gegenseitigem Einvernehmen und vertrauensvollem Miteinander erfolgreich laufendem Projekt zwischen der DITIB-Landesvertretung und der Hessischen Landesregierung sich zu einer Vertrauenskrise entwickelt hat. Anschließend werden wir aus unserer Perspektive zu erklären versuchen, warum der DITIB Landesverband mit seinem neuen Vorstand diese Krise nicht angemessen moderiert hat. Zum Abschluss werden wir darauf eingehen, unter welchen Bedingungen DITIB durch den Türspalt, den das Kultusministerium offengelassen hat, wieder mit dem Kooperationspartner Kontakt aufnehmen soll, um die Kooperation an der Stelle fortzusetzen, wo sie beendet worden ist.

Der Vertrauensbruch seitens DITIB ist ab 2015 durch eine persönliche Diffamierungskampagne gegen den damaligen Vorstand des Landesverbands Hessen und seinen Vorsitzenden Fuat Kurt durch eine Clique, deren Ausläufer in Hessen unter aktiver Mitwirkung des Religions-Attachés sowie durch die DITIB-Zentrale in Köln entstanden. Diese Kampagne hat zur Einsetzung eines neuen Vorstandes geführt. DITIB konnte das Hessische Kultusministerium von der Notwendigkeit dieses Vorstandwechsels nicht überzeugen. Das Ministerium hat diese von der DITIB-Zentrale, d.h. von außen, erzwungene Entwicklung als eine Verletzung der Unabhängigkeit des DITIB Landesverbandes als Religionsgemeinschaft bewertet.

Was den Vertrauensbruch noch vertieft hat und die Phase der Beendigung der Beziehungen eingeleitet hat, war, dass der neue Vorstand auf Anweisung der DITIB-Zentrale ohne Einbeziehung des Kooperationspartners beim Islamischen Religionsunterricht dem Kultusministerium ohne vorherige Konsultation eine einseitige Satzungsänderung zugeleitet hat.

Trotz eines Briefes des Ministeriums an den DITIB Landesverband von 2012, dass der bekenntnisorientierte Islamische Religionsunterricht in dieser Kooperation und nach der Satzung des Landesverbandes nur dann als unabhängig anzusehen ist, wenn er nicht von einer anderen Organisation bestimmt wird oder unter dem Einfluss eines anderen Staates steht, hat die einseitig geänderte Satzung Paragraphen erhalten, die diese Unabhängigkeit verletzen. Diese einseitige Änderung hat das Ministerium als unerlaubten Eingriff in die gebotene Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaft DITIB Landesverband Hessen verstanden. Kurz gesagt, der DITIB Landesverband in Hessen hat das Prinzip „nach dem Beginn des Spiels ändert man nicht die Regeln“, einseitig verletzt und den Verlust das Vertrauen des Kooperationspartners bewusst oder unbewusst in Kauf genommen.

Nach den äußerst schmerzhaften Turbulenzen hat sich der 2015 ins Amt gekommene neue Vorstand des DITIB Landesverbands Hessen – über keinerlei  Kenntnisse vom komplizierten Staatskirchenrechts in Deutschland verfügend – den kontraproduktiven Einflüssen und Einmischungen der obengenannten Clique und deren Anhänger in Hessen nicht befreien können. Der neue Vorstand war nicht in der Lage, wie ihr selbstbewusster Vorgängervorstand unter Führung von Fuat Kurt, gegenüber den deutschen Behörden bzw. gegenüber der DITIB-Zentrale entschieden und ausgewogen aufzutreten. Insbesondere in der Anfangszeit des neuen Vorstandes war der Einfluss der Clique und deren Anhänger in Hessen dermaßen überwältigend,  dass diese sogar  bei den folgenden Gesprächen mit dem Hessischen Kultusministerium gesprächsführend teilnahmen  und damit das Vertrauen des Ministeriums bewiesen wurde, dass der DITIB Landesverband Hessen nicht unabhängig ist. Auf diese Weise wurde von DITIB das bislang bestehende Vertrauensverhältnis zwischen den Kooperationspartnern zerstört.

Auch wenn der neue Vorstand des DITIB Landesverbands später versucht hat, durch neue Satzungs- und Strukturänderungen auf die Wünsche des Ministeriums einzugehen, hat er es nicht geschafft, das alte Vertrauensverhältnis,  das unter seinem Vorgänger bestand, wiederherzustellen.

Die Lage nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 in der Türkei haben die das bereits bestehenden Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland noch weiter verschärft. Das zerrüttete bilaterale Verhältnis der beiden Länder und der daraus entstandene mediale Druck haben die Hessische Landesregierung gezwungen, drei unterschiedliche Gutachten über den DITIB Landesverband erstellten zu lassen. Diese Gutachten fielen leider nicht so positiv aus wie die ersten Gutachten der Anfangsphase. Die neuen Gutachten legten dar, daß der  DITIB Landesverbandes Hessen nicht mehr unabhängig sei. Neben den immer mehr kriselnden bilateralen Beziehungen beider Staaten haben die oben beschriebenen Fehler des DITIB Landesverbands Hessen und die unzulässigen Einmischungen der DITIB-Zentrale sicherlich eine wichtige Rolle bei diesen negativen Gutachten gespielt.

Weil der 2015 neu gewählte Vorstand des DITIB Landesverbands Hessen nicht wagte, selbstbewusst und entschieden gegenüber der DITIB-Zentrale und der Clique aufzutreten und sich weigerte, von den Erfahrungen und Kenntnissen des Vorgängervorstandes zu profitieren, hat das mit großer Hoffnung begonnene Projekt eines bekenntnisorientierten Islamischen Religionsunterrichts in Kooperation mit der Religionsgemeinschaft DITIB Landesverband Hessen ein sehr trauriges und tragisches Ende genommen.

Wir glauben trotzdem, nach dem Grundsatz „in jedem Unglück steckt auch ein Segen“, dass es nach jedem Ende auch ein Neuanfang geben kann. Auch das Ministerium habe die Tür nicht ganz verschlossen und bei der Erklärung, dass die Kooperation beendet ist, die Hoffnung geäußert, dass die Gespräche fortgesetzt werden können, falls der DITIB Landesverband Hessen die aus dem Grundgesetz resultierenden staatskirchenrechtliche Bestimmungen erfüllt.

Es wäre daher angebracht, dass der DITIB Landesverband Hessen und die DITIB-Zentrale aufhören, andere Institutionen und Personen unberechtigt zu beschuldigen und sich in eine angebliche Opferrolle zu begeben, vielmehr stattdessen besonnen die Entscheidung des Ministeriums analysieren und vorsichtig und entschieden die notwendigen Schritte zu tun, die um der Sache willen getan werden müssen.

Der größte Fehler, den DITIB machen würde, bestünde darin, sich von manchen Kreisen dazu verleiten zu lassen, ohne Kenntnis des Prozesses, ohne Studium der Akten und ohne Beachtung der Höflichkeitsregeln, mit einer populistischen Herangehensweise und kontraproduktiven öffentlichen Erklärungen  zu setzen und juristische Schritte zu unternehmen. Ein solcher, aus unserer Sicht falsche Schritt, bedeutet ein jahrelanges Stocken des Prozesses der Verwirklichung eines verfassungsmäßigen Islamischen Religionsunterrichts. Auch wenn man am Ende als Sieger hervorginge, was keineswegs zu erwarten ist, wäre eine gedeihliche Kooperation und eine unbedingt notwendige vertrauensvolle Kooperation mit der Landesregierung kaum mehr möglich.

Das größte Problem für DITIB ist, daß das vom Grundgesetz vorgeschriebene Gebot der Neutralität des Staates gegenüber den Religionsgemeinschaften und damit deren Unabhängigkeit von der Türkischen Republik vollständig respektiert wird. Im Gegensatz zum Grundgesetz organisiert und bestimmt nach dem Recht der Türkei der Staat durch die staatliche Religionsbehörde DIYANET und deren Strukturen im Ausland. Die Aufgaben und Arbeitsweisen dieser Behörde werden durch staatliche Gesetze und Verordnungen festgelegt. Auch wenn diese Strukturen für die Türkei vielleicht sinnvoll sein mögen, umso unvereinbarer sind sie jedoch mit dem Neutralitätsgebot des Staates in Deutschland.

Artikel 7 und andere Artikel des Grundgesetzes sehen vor, dass nicht der religionsneutrale Staat Inhalte, Organisation und Verwaltung der Reli-gionsgemeinschaften bestimmt, sondern dass diese sich unabhängig organisieren.

Aus diesen rechtlichen Gründen kann ein fremder Staat nicht die religiösen Grundsätze einer in Deutschland aktiven Religionsgemeinschaft bestimmen und sie nicht verwalten. Ansonsten würde ein Recht, welches dem deutschen Staat vom Grundgesetz her nicht gewährt ist, ein fremder Staat in Anspruch nehmen. Das wäre ein Verstoß gegen die Verfassung des deutschen Staates und eine unzulässige Einmischung.

Es ist notwendig, dass diese Bedingungen, die sich  aus dem Grundgesetz und dem daraus resultieren Staatskirchenrecht ergeben, von der DITIB-Zentrale, von der Religionsbehörde DIYANET und vom türkischen Staat akzeptiert und eingehalten werden. Ansonsten können weder die DITIB-Zentrale noch die DITIB Landesverbände als Religionsgemeinschaften anerkannt und Kooperationspartner des Staates bei der Regelung religiöser Angelegenheiten, wie z.B. des Islamischen Religionsunterricht, werden.

Für den Fall, dass diese Bedingungen nicht akzeptiert werden, sollte die DITIB-Zentrale erklären, dass sie nicht anstrebt, in Deutschland als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden.

Falls die DITIB-Zentrale, DIYANET und der türkische Staat entscheiden, dass  DITIB sich als Religionsgemeinschaft dem deutschen Staat und seinen Institutionen als Gesprächs- und Kooperationspartner zur Verfügung stellt, so müssten die eben beschriebenen Bedingungen erfüllt und die dafür notwendige satzungsrechtliche, strukturelle und personelle Änderungen ohne Einmischung seitens von DIYANET bzw. vom türkischen Staat vollzogen werden. Erst danach könnten die Gespräche mit der hessischen Landesregierung bzw. mit dem für die Schulen zuständigem Ministerium, wieder aufgenommen werden.

Bisher sind sowohl in der DITIB-Zentrale als auch in den Landesverbänden Vorstände und Persönlichkeiten im Zuge gekommen, die sich im recht komplizierten Deutschen Staatskirchenrecht wenig auskennen. Daher sollten diese Positionen  mit selbstbewussten, erfahreneren Experten besetzt werden, die sich im Staatskirchenrecht gut auskennen und in der Lage sind, zwischen Deutschland und Türkei eine Brückenrolle zu spielen.

Als Letztes möchten wir die Bundes- und Landesregierungen und ihre Behörden, die deutsche Öffentlichkeit und die Medien dazu aufrufen, die DITIB bei diesem Prozess zu unterstützen und die auf- und absteigenden bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei nicht der DITIB anzulasten.

Mit diesem Schreiben über dieses sehr wichtige Thema, das die Zukunft der Muslime nicht nur in Hessen, sondern in ganz Deutschland betrifft, möchten wir die Öffentlichkeit sachlich informieren und einen konstruktiven Beitrag dazu leisten, dass die verantwortlichen Institutionen und Personen konstruktive Entscheidungen treffen können.

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[1]Vorsitzender des DITIB Landesverbandes in den Jahren 2009-2015

[2]Berater des DITIB Landesverbandes Hessen in den Jahren 2009-2015 und stellv. Vorsitzender der Kommunalen Ausländervertretung (KAV) Frankfurt am Main.