Nr. 255 (2020)

Japanischer kontemplativer Steingarten als Erscheinungsort des Heiligen und Abbild des Universums.

Nr. 255 (2020)

Ein Essay von Natalia Diefenbach

Die Schönheit des japanischen Gartens hängt mit zwei Grundideen zusammen: Verkleinerung und Symbolismus“. Makoto Nakamura, Gartenarchitekt Universität Kyoto

Der Japanische Garten gehört in seinen verschiedenen Ausgestaltungen zum Weltkulturerbe. Dieser Art Gärten sind weit über die japanische Halbinsel hinaus bekannt und beliebt. Elemente des minimalistischen Steingartens mit meditativ-kontemplativer Funktion wurde von der modernen Gartenkunst auf der

ganzen Welt übernommen und in viele Parkanlagen integriert.

Im vorliegenden Essay wird das Phänomen Steingarten im religiös-kulturellen Kontext Japans behandelt. Viele Erkenntnisse und Aussagen basieren auf eigenen Beobachtungen der Gartenkultur in Japan gepaart mit eigenen empirischen Versuchen, die Steingärten zu entwerfen und zu bauen.

Der Steingarten wird hier – mit seiner kontemplativen Funktion als eine grundlegende Struktur der japanischen Gartenlandschaft – als eine symbiotische Erscheinung gesehen, die aus verschiedenen geistigen Quellen, allen voran dem archaischen Polytheismus shinto und dem Zen-Buddhismus gespeist wird.

Der historische Aspekt der Entstehung der Gartenkunst Japans sei hier weitgehend ausgespart, um den Rahmen des Essays nicht zu sprengen.

Japan besteht aus einer länglich gestreckten Inselkette inmitten des Pazifischen Ozeans. Man zählt insgesamt über 6.800 verschiedene Inseln mit teilweise stark zerklüfteten Felsküsten. Ein Viertel des gesamten Territoriums Japans besteht aus steilen Gebirgen, kleinen Tälern, heißen Quellen, zahlreichen Flüssen und Wasserfällen.

Aus diesen markanten Landschaftsformationen leitet sich das Grundmotiv des japanischen Gartens ab: steil aus dem welligen Meer emporsteigende Berge und vom Wind gepeitschte Kiefernbäume.

Die aus den Gebirgszügen entstanden Vulkane sind zum Teil noch aktiv. Regelmässig ereignen sich in der gesamten Region kleinere, manchmal auch größere Erdbeben, Erdrutsche, Tsunami, Hochwässer und Taifune, mit fatalen Folgen für z.B. die Ernte. Die permanente Gefahr durch Naturkatastrophen, geographisch bedingte Geschlossenheit und die daraus resultierende Enge, Knappheit und Unsicherheit haben über die Jahrhunderte die Mentalität der Insulaner mitgeprägt. Die ständig wiederkehrenden Naturgewalten begründen die tiefe Ehrfurcht der Japaner vor der Natur, die sich bis heute erhalten hat. Durch die stets bedrohliche und instabile Lage mitten im gefährlichen Ozean prägte sich im Bewusstheit der Einwohner eine tiefe Sehnsucht nach Stabilität, Ruhe und Beständigkeit aus. Diese dramatische Sehnsucht schlug sich in der Symbolik des sich über Jahrhunderte hin entwickelten schroffen und regungslosen Steingartens, der entsprechend nur karge Vegetation aufweist, nieder. Der Steingarten ist ein Versuch, die ungezähmte Gewalt der Natur symbolisch aufzuhalten, einzuzäunen, d.h. zu kontrollieren. Dadurch werden Entstehen, Bestehen und Vergehen der illusorischen Welt metaphorisch in ein stabiles Konstrukt eingezwängt.

Der Terminus „Japanischer Garten“ ist ein allgemeiner geographisch bestimmter Oberbegriff, der für eine Vielfalt der im Landschaftsdesign visualisierten Spiritualität steht.

Innerhalb der japanischen Gartenkunst haben sich drei Gartentypen herauskristallisiert, deren Unterschied in der Funktion liegt. Es handelt sich dabei um die großflächigen öffentlichen Parkanlagen; den Teegärten und den in sich geschlossenen kontemplativen Steingärten (mit Wasser oder als trockene Variante aus Kies und Stein). Je nach Verwendungszweck wurden diese Anlagen unterschiedlich konzipiert und gestaltet. Allen Gartentypen sind einige Aspekte gemeinsam: das Spirituelle, das Meditative, das Ästhetische und das Kontemplative. Je nach Funktion des Gartens werden einige Aspekte bei der Gestaltung akzentuiert oder zurückgestellt. Als Ausdruckspalette werden Naturelemente (Stein, Pflanzen, Wasser) in verschiedener vom jeweiligen Motiv abhängige Konfiguration verwendet.

Zum ersten Typus des japanischen Gartens gehören die großflächigen Parkanlagen, wo jeder Besucher die Schönheit und Göttlichkeit der Natur unmittelbar geniessen und bewundern kann.

Die Parkanlagen beinhalten in der Regel auch die kleinen in sich konzeptuell geschlossenen Gartenstrukturen wie die meditativen Steingärten oder Teegärten. Die nach den strengen Regeln der Gartenbaukunst gestalteten japanischen Parkanlagen spielen primär eine sozialbindende Rolle, was insbesondere im Frühjahr, in der Zeit der weltberühmten Blute des Wildkirsche Sakura zur Geltung kommt. Diese Blütezeit gehört zu den wichtigsten sozialen und religiösen Ereignissen auf der japanischen Halbinsel und besitzt eine archetypische Symbolik: sie symbolisiert Kurzlebigkeit, Entstehens und Vergehens, gleich dem kurzen, aber heldenhaften Lebensweg eines Samurai. Diese großen Parkanlagen ähneln einem Waldpark im europäischen Verständnis, ebenso großflächig, teils naturbelassen, mit malerisch angelegten Teichen und Großen tempelartigen Bauten, die sich in die kunstvoll geschaffene Landschaft als ein unverzichtbares Element einfügen.

Zum zweiten Typus zählen die Teegärten, in denen vordergründig die rituelle Teezeremonie in Form einer geselligen Runde mit nahestehenden und dem Hausherrn wichtigen Menschen abgehalten wird. Der Teegarten ist ein in sich geschlossener Mikrokosmos, in dem die Teezeremonie als sakrale Handlung absolviert wird. Obwohl der Teegarten dem Konzept nach eine private fast intime Atmosphäre darbietet, kann er durchaus in eine öffentliche Parkanlage integriert werden, so dass in diesem Falle die Teezeremonie allen Besuchern des Parks zugänglich ist. Zum Teegarten gehören einige typische Elemente wie Wasserbrunnen für die rituelle Waschung; der Pavillon, wo die eigentliche Teezeremonie stattfindet und ein mit steinigen Trittplatten gestalteten Weg dorthin.

Zum dritten Typus gehören die kontemplativen Steingärten, eine künstlich geschaffene Naturlandschaft mit eventuell vorhandener kargen Vegetation. Der primäre Zweck dieser Steingärten besteht darin, dem Betrachter das Absolvieren von meditativen und kontemplativen Übungen zu ermöglichen.

Während die Parkanlagen für die Erholung geschaffen sind, sind die in sich geschlossenen Teegärten und Steingärten eher als sakrale Räume zu bezeichnen. Ursprünglich wurden die Steingärten ausschließlich für die kontemplativen und meditativen Geistesübungen errichtet. Später fand diese Praxis auch im weltlichen Leben Einzug. In den Steingärten suchte man gewollte Einsamkeit, entfloh der Hektik des Alltages und meditierte.

Die Steingärten werden geläufig als Zen-Gärten bezeichnet, obwohl sie mit ihrer vielschichtigen Symbolik der Naturelemente auch für einen bekennenden Shinto–Anhänger ein heiliger Ort sind.

Der religiöse Kontext Japans ist einerseits vom Polytheismus, Pantheismus und Animismus der alten Religion des Shinto (Weg der Götter) und andererseits von der kontemplativen Religiosität des im 5.Jh. v. Chr. In China entstandenen und nach Japan importierten Zen-Buddhismus bestimmt. Die Vorliebe der japanischen Gartenbaukünstler für markante felsige Steinformationen, skurril gewachsene Bäume und Wasseroberflächen hat ihren Ursprung in alten pantheistischen Vorstellungen der Einwohner Japans. Die tiefe Verehrung galt den ungewöhnlichen Naturschöpfungen (Berge, Felsen, alte Bäume, Wasserfälle und Quellen), die als Wohnstätten göttlicher Wesen (kami) und damit als heilige Orte galten. FN Nakorcevskij, Andrej: Sinto. Sankt-Petersburg, 2003. S.182ff Um ihren besonderen Charakter zu betonen, wurden die Bereiche um die Heiligtümer in späteren Zeiten mit Kies bedeckt und für Reinigungsrituale verwendet. Das Shinto-Pantheon zählt über 8 Millionen Gottheiten, deren Zahl bis ins Unendliche wachsen kann. Vergl. Die zentrale Gottheit ist die Sonnengöttin Amaterasu, von der den Mythen nach der Tenno, der Kaiser, abstammt. Während die shintoistischen Rituale mehr für die Übergangsritten im Diesseits ausgelegt waren, standen die zen-buddhistische Rituale überwiegend mit Jenseits und dem Erreichen des befreienden Zustands der Leere und Erleuchtung (Satori) in Verbindung. Eine negative Einstellung gegenüber dem Tod in allen seinen Ausprägungen, Facetten und Ritualen gehört zu den Besonderheiten des Shinto. So wurden die Toten im alten vorbuddhistischen Japan in ein namenlosen Erdgraben bzw. auf Straßenkreuzungen geworfen, während deren Geister (kami) ganz woanders in einem Tempel verehrt wurden. Als der Zen-Buddhismus nach Japan kam, fügte er sich in diese soziale Nische erfolgreich ein. Die buddhistischen Klöster übernahmen die Rituale, die sich mit Sterben und leben im Jenseits, während Shinto-Priester sich fast ausschließlich auf Hochzeit, Geburt und ähnliche lebensbejahende Übergangsrituale spezialisiert haben. Die Symbolik des japanischen Gartens wird von Shinto und Zen gemeinsam bestimmt. Es kann also nicht gesagt werden, der japanische Garten sei ausschließlich ein Produkt der buddhistischen Religiosität.

Die religiös-philosophischen Grundlagen eines kontemplativen Steingartens speisen sich im Wesentlichen aus zwei zum Teil konträren religiösen Systemen. Als eine Art Synthese bilden sie somit eine ästhetische und spirituelle Einheit.

Nicht die Idee der Bezwingung der Natur, sondern des respektvollen majestätischen Zusammenfließens mit ihr bildet das grundlegende Paradigma dieser Gartenkunst.

Die Natur- und Weltwahrnehmung der Japaner brachte eine Reihe von ästhetischen Prinzipien des Gartenbaus hervor. Aus dem sinnlichen Erleben entstanden die kanonischen Formen der Gartengestaltung.

Unter den sachrelevanten philosophisch – ästhetischen Begriffen sind mono no avare, sabi, wabi, yügen und yüdse besonders hervorzuheben.

Mono no avare gehört zu den ersten programmatischen Kategorien und lässt sich ungefähr so übersetzen: ein unaussprechlicher „verzaubernder Charme der Dinge“.

Diese Kategorie enthält sowohl einen ästhetische als auch einen ethischen Aspekt. Sie ist sowohl auf die materiellen als auch auf die geistigen Objekte (Dinge) anwendbar. Der Mensch als Träger dieser Wahrnehmungsweise ist befähigt, ein gewisses Etwas in den Dingen zu erspüren, was durch die Vergänglichkeit dieser Dinge noch dramatischer betont wird. Nicht nur das buddhistische Gefühl der Vergänglichkeit des Seins füllt diese Kategorie mit einem spezifischen Inhalt; die shintoistische Auffassung von Schönheit, als Quelle der Faszination, der das Göttliche innewohnt, vervollständigt den Begriff mono no avare. Das Gefühl der Harmonie, das sich in allen japanischen Kunstarten niedergeschlagen hat, und so etwas wie organisches Zusammenfließen von Objekt und Gefühl meint, bildeten gemeinsam eine der wichtigsten Konstanten der mono no avare. Der Begriff umschließt nicht nur die harmonischen Zusammenhänge in der Natur ein, sondern auch die Harmonie zwischen dem Zustand der Natur und dem Zustand der menschlichen Seele, der Natur und der Kunst.

Dieses harmonische Zusammenfließen von Objekt einerseits und – durch es hervorgerufenem feinem ästhetischen – Gefühl ist ein typisches Merkmal der shitoistischnen Weltanschauung. Gerade diese Besonderheit half später den Japanern die Lehre des Mahayana-Buddhismus, dass Samsara und Nirvana identisch seien, zu verinnerlichen, wodurch später die Ideen des Zen–Buddhismus Eingang in die japanische Weltanschauung fanden.

Mit dem Einzug der buddhistischen Lehre wurde der Begriff mono no avare mehr mit dem Aspekt der Traurigkeit, des Verlustes, der Vergänglichkeit des Seins gefüllt. Der „verzaubernde Charme der Dinge“ wurde immer mehr zu einer Art traurigem Charme. Die Vergänglichkeit entwickelte sich zunehmend zu einem einzigartigen Aspekt der ästhetischen Wahrnehmung. Doch Vergänglichkeit macht das Leben nicht wertlos, im Gegenteil, die Vergänglichkeit verleiht dem kurzlebigen Moment des Seins einen besonderen Wert. Das Leben ist beweglich, unbeständig und instabil, was sich symbolisch in der Vermeidung von Symmetrie äußert. Wenn das Leben von Schönheit begleitet ist, gewinnt es an Qualität.

Später, nach zahlreichen Kriegen und sozialen Umwälzungen, transformierte sich mono no avare in die weitere ästhetische Kategorie yügen genannt, die das Wesen des Gartenbaus Japans im Wesentlichen mitgeprägt hat. Die ästhetische Kategorie yügen bedeutete in etwa einen verborgenen, geheimnisvollen Aspekt der Ursprünglichkeit der Dinge. Yügen verliert die unvermittelte Leichtigkeit der mono no avare, und steht stattdessen für das Gefühl des religiösen Entzückens vor dem Unbegreiflichen, das von Rudolf Otto, der in Japan hochverehrt wird, als Mysterium Tremendum bezeichnen würde.

Als Darstellungsprinzip wird eine unaussprechliche Anspielung postuliert. Sie wird mit dem Begriff yüdse bezeichnet. Nach diesem Prinzip macht der assoziative Kontext, der im unmittelbaren Kontakt mit dem zu betrachtenden Objekt steht, die Wertigkeit der Wahrnehmung aus. Die Phantasie des Betrachters soll durch das im polysemantischen Kontext angebetetem gewissen Etwas angeregt werden.

Denselben Zweck verfolgt das Lakonische an Konzept des Steingartens. Mit diesem Mittel wird auf die göttliche Natur der Dinge, auf das Absolute, auf das Nichts und die Leere angespielt. Dadurch soll ein emotionaler Wiederhall ausgelöst werden. Die Anspielungstechnik yüdse bekam eine starke Einfärbung von Zen-Buddhismus, der die Welt als eine Manifestation der Leere auffasste und das Schweigen als Mittel zum Begreifen der Wahrheit predigte. Im Kontext der yügen Kategorie postuliert sie ein weiteres relevantes Prinzip der japanischen Ästhetik sabi genant. Der Begriff bedeutet so etwas wie Patina, Spuren der Vergangenheit, und verbindet sich mit der Stimmung der essenziellen Einsamkeit, die unpersönlich ist und sich auch auf die Natur anwenden lässt. Diese Einsamkeit versteht sich als eine Ungebundenheit gegenüber Elementen des Seins, nach buddhistischern Interpretation sogar zu dem eigenen Ich. Sabi trägt in sich den positiven Aspekt der schönen Traurigkeit, der erleuchtenden Einsamkeit. Somit ist sabi ein wesentlicher Aspekt der yügen. Zum weiteren Aspekt von sabi gehört die Einfachheit. Demnach gehören auch die schlichten scheinbar gewöhnlichen Dinge des Alltages zu den Manifestationen des Göttlichen in der materiellen Welt. Besonderen Wert erfahren die Dinge mit Gebrauchsspuren, die die verborgene Geschichte in sich tragen. So erfahren die vermoosten Steine, verfaulten Baumwurzeln, abgenutzten Stufen einer Treppe im kontemplativen Graten Japans eine besondere Wertschätzung durch den Betrachter.

Die nächste relevante Kategorie der japanischen Ästhetik heißt wabi und bedeutet so viel wie Attraktivität der Armut, Feinheit im Groben, Charme der alltäglichen Banalität, Reduktion auf das Wesentliche. Sich von wabi leiten zu lassen ist fast gleich wie dem Dao zu folgen, das heißt den natürlichen Lauf der Dinge nicht verhindern und damit den Zustand der Ruhe und Zufriedenheit erreichen – Schönheit durch die Prisma wabi bedeutet sowohl die natürliche Schönheit der Natur als auch die bescheidene Schönheit der alltäglichen Gegenstände.

Mit der Zeit flossen beide Begriffe sabi und wabi zu einer Oberkategorie shibui zusammen, die in etwa „geschaffen mit feinfühligem Geschmack“ bedeutet.

Das Betrachten des Gartens sollte weniger das rationale Denken, sondern viel mehr das Empfinden ansprechen. Dadurch sollte die Seele des Betrachters auf eine poetisch–metaphorische Ebene geführt werden. Der Garten entwickelte sich zu einer Quelle des ästhetischen Genusses. In der minimalistischen Einfachheit erspürte man die Gesetzte der Weltharmonie, erkannte das Modell des Universums. Die mit dem Bestreben nach Reinheit und Perfektion aufgebauten Steingärten wurden durch den Betrachter als Wohnstätten des Heiligen, als spirituelle Mikrokosmos, als Ort der Hierophanie wahrgenommen. Auf symbolischer Ebene verkörperte der Steingarten den Lebensweg mit dessen Anfang und Ende.

Kontemplative Steingärten stellen das Absolute des japanischen Symbolismus dar. Sie setzten die Entwicklung der Imagination durch die kontemplative Meditation voraus. Solche Gärten sind nicht als Fragment der Natur zu verstehen, sondern als deren Symbol. Die einzelnen Steine werden als Skulpturen wahrgenommen, deren plastische Ausdruckskraft, das Zusammenwirken der Proportionen, Position im Raum definieren die ästhetischen Qualitäten des Gartens. Alle anderen Elemente bilden einen Hintergrund, deren Zweck es ist, die Schönheit und Einmaligkeit der Steine zu unterstreichen. Die durchdachte Leere im Garten hat ebenso eine Bedeutung und Funktion – in dieser Leere offenbart sich symbolisch die uferlose Weite von Zeit und Raum. Dabei soll der Garten das Gefühl der Geschlossenheit und Verborgenheit vermitteln. Dieser Kontrast zwischen den offenen und den geschlossenen Flächen macht die besondere Wirkung des kontemplativen Gartens, seinen  universalistischen Aspekt aus. In ausschließlich aus den Steinen geschaffenen Gärten wird das Wasser aus Kies symbolisch dargestellt. Der primäre Zweck des Gartens besteht darin, mit Hilfe des starren Bildes die Konzentration des Betrachters zu fördern und dadurch die assoziativen Bilder vor dem inneren Auge hervorrufen. Laut Zen ist die Welt so beschaffen, wie man sie wahrnimmt. Die minimalistische Leere und scheinbare Einfachheit des kontemplativen Steingartens täuschen. Der Aufbau des Gartens unterliegt strengen kanonischen Regeln.

Eines der wesentlichen Prinzipien des kontemplativen Steingartens ist die bewusste Asymmetrie. Die spezifische Ästhetik des japanischen Gartens verträgt nicht gleichgroße oder die parallel liegenden Gegenstände. Dabei werden sogar eventuell vorhandene Spiegelungen im Wasser als auch die Schatten in Betracht gezogen, um die angestrebte Harmonie nicht zu stören.

Nun sollen die einzelnen Elemente des kontemplativen Gartens im Hinblick auf ihre symbolische Bedeutung betrachtet werden. Im Zentrum der japanischen Gartensymbolik steht der Stein, der im japanischen Kulturraum als Gipfel der natürlichen Schöpfung gilt, die Schönheit und die Erhabenheit der Natur symbolisiert. Dies hängt mit der überwiegend vulkanischen und felsigen Landschaft der Inselkette zusammen. Große Steine rufen die die Assoziation des Felsens, die wellige Kiesoberfläche steht symbolisch für das sich ständig im Wandel befindende Element Wasser. Es gibt fünf Gestaltungskategorien von Steinen: Der skulpturartige Stein, der flache Stein, der liegende Stein und der verbogene Stein. In nahezu jedem Steingarten gibt es eine dreier Steingruppe, die die buddhistische Triade von Buddha, Sangha (buddhistische Mönchsgemeinschaft) und Dharma (buddhistischer Lebensweg) symbolisiert. Dieselben Steine können im Auge des meditierenden Betrachters in einem anderen naturreligiösen Kontext erscheinen: als kräftiges Symbol phallischer Natur, als Symbol für Stabilität und Ewigkeit, als Orte der Niederlassung von kami und schließlich als einen Archipel im uferlosen Ozean. Für die Shinto–Anhänger gelten Steine als eine Art ewiger Pflanzen, die lebendig sind, bloss sehr langsam wachsen, so dass das menschliche Leben gar nicht dazu ausreicht, dieses Wachstum zu bemerken. Gerade diese Lebendigkeit läßt die Steine zu Orten der Hierophanie und folglich Lebensraum für die göttlichen Wesen kami werden. So werden Steine zu Tempeln und somit zu Orten der Verehrung. Der Steinkult hängt eng mit Ahnenkult, einer der wichtigsten Säulen des Shinto, zusammen. Die einzelnen Steine für den kontemplativen Steingarten werden sorgfältig nach Form, Farbe und Struktur ausgewählt, wobei ein großer Wert auf die richtige Platzierung im sakralen Raum gelegt wird. Jeder Stein hat ein individuelles Gesicht, das durch die räumliche Abtrennung der Steine voneinander im Raum betont werden soll. Die Gruppierung von diesen Individualitäten soll zur Entstehung einer landschaftlichen Einheit beitragen, deren Zweck es ist, für den Betrachter eine perfekte Illusion der Tiefe zu schaffen. Die Idee dabei ist, im Unbewussten ein Gefühl dafür entstehen zu lassen, die sichtbare Oberfläche sei nur ein kleiner Teil des verborgenen Unsichtbaren. Diverse Steine der Steingruppen übernehmen die Rollen von Darstellern in einem Mysterienspiel der Offenbarung des Heiligen. Abhängig von ihrer Form, Farbe, Struktur und Beschaffenheit symbolisieren Steine diverse Begriffe und Gegenstände. Der senkrecht aufgestellte Stein kann Innbegriff des Himmels sein, währenddessen sein horizontal angeordnetes Paar symbolisch für die Erde stehen kann. Inselgruppen, Berge, Felsen, aber auch die symbolischen Tiergestalten werden je nach Konzept von dem Gartenarchitekten in die dafür angeordneten Steine projiziert. Aus Stein werden die berühmten Steinlaternen angefertigt, die in gemischten Gärten zu finden sind. Die Steinlaterne ist Sinnbild für die auch im Dunkeln leuchtende buddhistische Leere und somit der Seele. Das Licht im Innenraum der Steinlaterne symbolisiert die Erde, die unter dem Himmel auf dem Wasser des Weltozeans ruht.

Zu den weiteren wichtigen symbolträchtigen Elementen der Steingartenkunst zählt das Wasser. Je nach Gartentyp wird es entweder symbolisch aus Kies kreiert oder als gestalterisches Element in das Konzept des Gartens integriert. Im buddhistischen Kontext ist Wasser Metapher für die Entstehung des Menschen, für die Seelenwanderung. Als kleiner Bach entstanden, entwickelt es seine Kraft, strömt, schafft Wasserwirbel, fließt zum Meer, um dort zu verschwinden und dann als Regen wiedergeboren zu werden. Die Wasserströmung breitet sich auf dem Weg aus, nähert sich dem Ozean, vereinigt sich mit ihm und verwandelt sich letzten endlich in eine ruhige kraftvolle Oberfläche. Metaphorisch im buddhistischen Sinne gesehen ist das eine Analogie zu den menschlichen Leidenschaften, die mit dem zunehmenden Alter langsam ihre Heftigkeit verlieren und zum Ozean der Weisheit und des Wissens werden. So lässt sich im Garten mit minimalistischen gestalterischen Mitteln das Wesen des menschlichen Seins repräsentieren. Das langsam tropfende Wasser ist ein Symbol für das Vergehen und Messen der Zeit. Die Kiesoberflächen, die als unruhige Wasseroberflächen gestaltet werden, schaffen eine Art negativen lebensleeren Raum, ein Symbol, für das durch die meditativen Übungen erstrebte Nichts. Im Gegensatz zum harten Stein wird das biegsame Wasser der Symbolik des Weiblichen zugeordnet. Das Element verkörpert den ewigen Fluss der materiellen Welt. Die Überkreuzung von zwei Strömungen steht für das Durchstreifen der illusorischen Welt auf der Suche nach Erleuchtung und Nirvana. Zu den traditionellen Elementen des japanischen Gartens gehört eine mit fließendem Wasser gefüllte Steinschüssel, die sowohl als dekorative Wasserquelle als auch als Sinnbild der Reinheit in Erscheinung tritt.

Zu weiteren relevanten Symbolen des kontemplativen Gartens gehört der Weg im weitesten Sinne des Wortes. Der Weg als Symbol kann sowohl mit Wasser als auch mit Stein gestaltet werden. Sowohl die chinesische religiöse Bezeichnung Dao als auch der Begriff für den autochthonen japanischen Shinto bezeichnet den Weg der Götter. Dabei wird der Weg als ästhetisches Paradigma, als Zustand auf dem Weg zur Erlösung, als Sinnbild endloser Einreihung der stillen Momente und vieles mehr verstanden.

Laut archaischer Glaubensvorstellungen entfernten sich die Seelen der Verstorbenen in Jenseits entweder hinter dem Gebirge (archaische japanische Vorstellung) oder hinter dem Horizont des Meeres (archaische polynesische Vorstellung). Beide Vorstellungen lassen sich im mystischen Kontext des kontemplativen Gartens gestalterisch umsetzen. Eine ähnliche metaphorische Bedeutung hat auch eine Brücke, ein Symbol für den Übergang aus dieser Welt in die nächste bzw. für den Übergang zur Erlösung in Satori. Die Brücke wird in der Regel aus Holz oder Stein geschaffen.

Zu der kargen, aber umso ausdrucksvollen Palette der Gestaltungselemente des kontemplativen Gartens gehört eine festgelegte Pflanzenauswahl. Darin enthalten sind vordergründig regionale Pflanzen wie Kiefern, Bambusschilf, Azaleen, Moos, Iris, einige Grassorten, Kirsch- und Pflaumenbaum und einige mehr. Den Pflanzen wird eine tiefe sakrale Symbolik zugesprochen. Die gemischten Landschaften der kontemplativen Gärten setzen die Verwendung von Bäumen, Büschen und Blumen voraus. In den minimalistischen Steingarten karasensui ist die Palette der Pflanzen auf ein absolutes Minimum reduziert. Dort werden, wenn überhaupt, nur einige dekorative Moosarten verwendet oder die Azaleen werden als lebende Steine kunstvoll in runder Form geschnitten. In Teegarten und in den gemischten Gartenlandschaften sieht diese Situation etwas anderes aus: Wasser, Steine und Pflanzen werden sorgfältig miteinander kombiniert und somit zu einer visuellen Reihe von Symbolen geformt. Neben anderen Elementen drücken auch die Pflanzen die spirituelle Sprache der Zen–Philosophie aus und erscheinen als ihre materielle Manifestation. Auch für einen im Shinto verwurzelten Menschen sind die Pflanzen beseelt und bieten je nach Alter und Größe den Lebensraum für die Gottheiten kami dar. Ein japanischer Betrachter ist ohnehin auf die von den beiden spirituellen Systemen – Shinto und Zen – konditioniert, was seine spezifische symbiotische Wahrnehmung erklärt. Der Baum spielt seit jeher eine wichtige Rolle im Ahnenkult. In den archaisch-chthonischen Vorstellungen galt der Baum als eine Weltachse und eine Verbindung zwischen der Welt der Lebenden und den verstorbenen Ahnen. Unter den Pflanzen der japanischen Gartenkultur hat Bambus eine besondere symbolische Bedeutung. Bambus ist keine Baumart, sondern ein Sammelbegriff für über vierzig Arten einer verwandten Gattung. Die jungen und schnell treibenden Ableger verkörpern Drang der Jugend, die unbeugsame gesunde Lebenskraft; die etwas älteren Pflanzen stehen für Verlässlichkeit, Treue und Wahrhaftigkeit. Neben der Kiefer bleibt auch Bambus das ganze Jahr über grün, was symbolisch für Langlebigkeit steht. Die Ringe seines Stiels wurden als Etappen der Initiation, Sinnbild der Zauberei und Stufen zur höheren Erkenntnis aufgefasst. In Feuer gelegt, platzen die Bambusröhren mit einem spezifischen Geräusch, das die bösen Geister abschrecken soll. Im Kontext von Zen weisen die frei treibenden Stiele des Bambus auf das leere, von jeder Emotion und Gedanken befreite Herz, das sich für die Erleuchtung und satori (Nirvana in Zen) öffnen kann. Bambus ist das klassische Material für die Kalligraphie. Deswegen galt er für die buddhistischen Mönche und Künstler als eine heilige Pflanze. Ein Bambusstiel hat eine vielfältige Bedeutung: er steht für Buddha, für den barmherzigen Bodhisattva, für die sanftmütige chinesische Göttin Guanyin und für alle edlen Menschen auf der Welt. Auch die zahlreichen Moosarten, Gestaltungselemente im Steingarten, bedeuten Zuverlässigkeit, Schutz, unendlichen Zeitlauf und mütterliche Liebe.

Gesondert zu erwähnen sind die Sakurabäume, die in Japan vergöttert und verehrt werden. Sakura ist ein Sammelbegriff für die blühenden Kirscharten, die allerdings keine essbaren Früchte tragen. In der Zeit der Sakurablüte im Frühjahr setzt sich die Mehrheit der Japaner in Bewegung – man reist viel innerhalb des Landes, besucht Verwandte, bewundert und betrachtet die blühende Sakura. Da die überwältigend schöne Sakurablüte nur von kurzer Dauer ist, steht sie symbolisch für das kurze, aber heldenhafte Leben eines Samurai im Dienste seines Kaisers, der als Nachfahre der Sonnengöttin Amaterasu -ō-mi-kami und als der einzige lebendige kami in menschlicher Gestalt verehrt wird. Mit Sakura verwandt spielt auch der Pflaumenbaum eine bedeutende Rolle in der japanischen Spiritualität. Je älter der Baum, desto tiefer wird er als der Aufenthaltsort des Heiligen verehrt. Noch im winterlichen Schnee steht der Pflaumenbaum ohne Blätter, aber in voller Blüte und versinnbildlicht somit die Wiedergeburt, die Fähigkeit der seelischen Kraft, sich zu regenerieren und nach dem Untergang wieder aufzustehen. Die blühenden Obstbäume sind ein Sinnbild für Vitalität, Freude am Dasein, Schönheit und Faszination.

Die immergrüne Kiefer symbolisiert unter anderem Kraft, Geduld und Unsterblichkeit. Zusammen mit dem Bambus- und Pflaumenbaum gehört die Kiefer zu der Triade „drei Freunde des Winters“. Aus Kiefernholz werden shinto Tempel gebaut und rituelle Gegenstände angefertigt. Der weitverbreitete kleine dekorative Ahorn gilt als Symbol für Gelehrsamkeit, Lebensweisheit und Grossartigkeit.

Die Symbolik der japanischen Kunst erreichte ihren Gipfel in den trockenen Landschaften der kontemplativen Steingärten. Der Raum für einen solchen Garten ist nicht gross. Er ist zudem unzugänglich und wird allein dazu geschaffen, von Aussen betrachtet zu werden. Ein japanischer Steingarten ist kein Ausschnitt aus der Natur, wohl aber ihr Symbol. Die Aufgabe des Gartenkünstlers besteht darin, die kleine Fläche des Steingartens vielschichtig und endlos wirken zu lassen.

Diese Eigenarten sicherten den japanischen Garten eine Sondererscheinung innerhalb der allgemeinen Gartenkunst.

Der Steingarten ist gleichzeitig ein Tempel, ein spiritueller Ort mit besonderer Kultur und Philosophie. Seine Quellen liegen im archaischen Polytheismus der Shinto–Religion. Im Laufe der Jahrhunderte wurden ihre Inhalte durch philosophische Vorstellungen von Dao, von der Lehre Konfuzius und Buddhismus beeinflusst. Die altjapanische Religion bildete mit diesen Einflüssen ein organisches Ganzes. Durch diese organische Symbiose kamen neue spirituelle Paradigmata zum Tragen, welche in den tiefgründigen minimalistischen Erscheinungsformen der Steingärten Japans ihre perfekte Form fanden. Die spezifische Bedeutung eines jeden Symbolträgers erlaubt es dem Betrachter die Idee des Gartens zu begreifen und die der Komposition zu Grunde gelegten Sinnbilder auf der Ebene des Unbewussten zu dechiffrieren und zu lesen.

Literaturverzeichnis

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First published Mon Dec 12, 2005
Shimokawa, Zensho: Japanischer Garten: Einführung und Überblick über die japanische Gartenkunst. Www.Sansiu-eu.de https://wabisabi.by/sabi-vabi-sibuj-yugen/
http://leit.ru/modules.php?name=Pages&pa=showpage&pid=1443

natalia diefenbach
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