Ambedkars Neo-Buddhismus und seine Beziehung zum Hindu Dharma
Eine religionswissenschaftliche Annäherung an Friedrich Heiler (1892 -1967)
von Edmund Weber
Die indischen Neo-Buddhisten, die auch Ambedkariten genannt werden, haben seit den 50er Jahren eine Bewegung entfacht, die den Buddhismus ihrer Deutung und Praxis als Höchstform der indogenen Kultur, des Dharma, versteht. Wegen der Aktualität der Dalitfrage [1] spielen diese Neo-Buddhisten in der gegenwärtigen Politik Indiens eine gewichtige Rolle; und für den indischen Buddhismus haben sie nicht nur wegen ihrer politischen Aktivitäten an Bedeutung gewonnen, sondern einfach auch deshalb, weil sie, überwiegend der Mahar-Jati [2] zugehörig, inzwischen die Mehrheit der indischen Buddhisten bilden.
Die Neo-Buddhisten gehen auf
den sog. ‚Vater der Indischen Verfassung‘ Dr. Bhimrao Ramji Sakpal, gen. Ambedkar (1891-1956) [3] zurück. Dieser indische Politiker entstammte der Mahar Jati [4] Maharashtras, die zu den höherrangigen Kasten der Unberührbaren zählt. Im Gegensatz zur Masse seiner Jati-Genossen war es Sakpal mit Hilfe seines brahmanischen Schullehrers Ambedkar, der ihm auch seinen Namen lieh, gelungen, eine akademische Karriere zu beginnen. Auf Grund eines Stipendiums des Maharajas von Baroda konnte er 1912 in Bombay den Grad eines Bachelor of Arts erlangen. Ein Staatsstipendium des Fürstentums Baroda ermöglichte ihm ein Studium an der Columbia Universität in New York, wo er 1915 den Grad eines Masters of Arts erwarb. In London erlaubte ihm ein Stipendium des Maharajas von Kolhapur Jura zu studieren und als Barrister-at-Law abschließen. Außerdem erwarb er noch den Doktorgrad in Ökonomie. Ambedkar hatte damit auf Grund brahmanischer und fürstlicher Protektion eine beispiellose Karriere begonnen, die ihn befähigte, sofern moralisch gefestigt, die Lage der Dalits zum öffentlichen Thema in Indien zu machen.
Seit 1923 lebte er wieder in Bombay, wo er eine rege Anwalts- und Lehrtätigkeit entfaltete. Er begann aber gleichzeitig, sich öffentlich für die Belange der Unberührbaren einzusetzen: durch Erziehung, Agitation und Organisation. Dieser Kampf machte ihn zum anerkannten Führer der Unberührbaren Indiens und brachte ihm höchste Staatsämter im kolonialen und freien Indien ein: Er war Mitglied des kolonialen Viceroy’s Council, Vorsitzender des Verfassungsausschusses [5] und Justizminister der ersten freien indischen Regierung.
Bis 1950 war Ambedkar vornehmlich als politischer Führer der Unberührbaren bekannt. Er gründete drei politische Parteien, die die Interessen der Unberührbaren öffentlich vertreten sollten. Seine letzte Gründung, die Republican Party, ist noch heute, hauptsächlich als Maharpartei in Mahahrashtra, aktiv – allerdings verbündet mit der Kongreßpartei. Da parteipolitisch gegen Gandhi und Nehru eingestellt und im Vergleich zur Moslemliga Mohammed Ali Jinnahs (1876-1948), des Gründers des indo-islamischen Staates Pakistan, nicht erfolgreich, setzte Ambedkar, um seinen Kastengenossen zu helfen, auf die religiöse Karte.
Ambedkars Familie folgte dem Kabir Panth [6], d. h. einer Bhaktireligion, die in religiöser, nicht jedoch in praktischer Hinsicht keine Jati- und Varna-Grenzen anerkannte und zudem die Verehrung des Nirguna Rama pflegte. Diese Herkunft aus einem Rama Hindutum, das religiös das Savarna System bestritt und nirgun-theistische Züge trug, gab ihm nicht nur seinen individuellen Namen, sondern zeichnete seinen weiteren religiös-politischen Weg vor.
Für Ambedkar persönlich fiel die Konfrontation seiner unberührbaren Jati mit den höheren Savarna Kasten, die auch ihm die üblichen Demütigungen zufügten, letztendlich milde aus, konnte er doch wegen fortschrittlich gesonnener ‚high caste‘ Hindus einen geradezu beispiellosen gesellschaftlichen Aufstieg nehmen.
Aber diesen Aufstieg nutzte er, um als Führer der Mahar Jati und der anderen Unberührbaren deren Interessen programmatisch zu formulieren, religiös zu legitimieren und politisch zu verwirklichen.
Von aller größter Bedeutung für den Befreiungskampf der indischen Dalits war natürlich die religiöse Motivationsbildung. Ambedkar erkannte hellsichtig die Dominanz der religiösen Komponente für die Emanzipation der Unberührbaren. Deshalb hielt er auch intensiv Ausschau nach einer brauchbaren sozial-religiösen Ideologie.
Der Kabir Panth kam dafür nicht in Frage, da er nur eine kleine erstarrte quietistische Gemeinschaft darstellte, bar jeglicher politischer Interessen und für einen modernen Massenbefreiungskampf überhaupt nicht gerüstet.
Zunächst hegte er – mit dem Argument des angeblich egalitären Charakters der Sikh Religion von einem Vizepräsidenten des Goldenen Tempels in Amritsar dazu aufgefordert – den Plan, zusammen mit seinen Jati-Genossen zum Sikhismus zu konvertieren [7]. Doch ließ Ambedkar den Vorschlag wegen der Partikularität der realen Sikh Religionsgemeinschaft schließlich fallen.
Immerhin sollte bedacht werden, daß diese primäre Option auch darin begründet gewesen sein kann, daß der Gründer von Ambedkars Familienreligion, Kabir, ursprünglich zur Sikh Religion gehörte.
Seit der Unabhängigkeit Indiens trat Ambedkar aber verstärkt mit probuddhistischen Äußerungen hervor; er forderte seine politisch-sozialen Anhänger, insbesondere seine Jati-Genossen, auf, nunmehr jedes Jahr das Fest ‚Buddha Jayanti‘ zu feiern. In einem Artikel im ‚Maha Bodhi Journal‚ veröffentlicht er im selben Jahr einen programmatischen Artikel unter dem Titel ‚The Buddha and the Future of His Religion‘, in dem er vom Buddhismus behauptete, er sei die einzige Religion, die die Welt haben solle, lege sie doch das Schwergewicht auf ‚reason, morality, liberty, equality and fraternity‘ [8].
Hier wird deutlich, daß der Buddhismus als eine bürgerliche Sozial-Ideologie, den Idealen der Französischen Revolution nachempfunden, verstanden wird. Die Hinwendung zu dieserart neuartigem bürgerlichen Sozial-Buddhismus, der so bislang in Indien und anderswo nicht zu finden war, führte schließlich dazu, daß Ambedkar am 14. Oktober 1956, kurz vor seinem Tode im Dezember, in Nagpur von dem ältesten Mönch Indiens, U Chandramani Mahasthavir, Diksha nahm und somit formell und persönlich dem Buddhismus beitrat. Der Konvertit gründete unverzüglich den ‚Bharatiya Bauddha Mahasabha‘ (‚Indische Buddhistische Gemeinschaft‘), wohl als buddhistisches Pendant zum ‚Hindu Mahasabha‘ gedacht. Mit Ambedkar zusammen traten mehrere hunderttausend Anhänger, meist aus seiner Mahar Jati, zum ambedkaritischen Buddhismus über [9]. Im Gefolge dieser Massenkonversion wuchs die Zahl der indischen Buddhisten von 1956 bis 1961 auf 3 250 000 Personen an [10].
Es leidet keinen Zweifel, daß der Buddhismus in Indien durch die Ambedkar-Bewegung einen enormen Aufschwung genommen hat. Kaum mehr zählbare buddhistische Veranstaltungen sind seitdem abgehalten, neue buddhistische Einrichtungen geschaffen und Laienverbände und Klöster gegründet worden. Der buddhistische Aufschwung hat nicht nur den Neo-Buddhismus hervorgerufen, sondern auch den indischen Altbuddhismus der Himalayaregion (Ladakh, Himachal Pradesh, Sikkhim, Assam usw.) mit beflügelt.
Ambedkars Angriffe auf den Savarna Hinduimus [11] lagen – wie oben angedeutet – schon in seiner Herkunft aus dem Avarna Hinduismus kabiritischer Richtung begründet. Es bedurfte also keiner radikalen persönlichen Konversion, um als Sohn einer Kabiritenfamilie diejenige Richtung des Hinduismus, die die Unberührbaren diskriminierte, zu bekämpfen. Ein solcher Kampf war und ist erst recht heute eine innerhinduistische Möglichkeit.
Ambedkars Hinwendung zum Buddhismus geschah aber nicht so sehr wegen des apolitischen Charakters seiner Herkunftsreligion, sondern mehr aus handfesten parteipolitischen Gründen.
Die Kongreßpartei unter Mohandas Karamchand Gandhi (1869-1948) hielt er, auf Grund Jahrzehnte langer praktischer Erfahrung, für unfähig und unwillens, das sozio-kulturelle Los der Unberührbaren zu ändern. Er sah, daß diese politische Bewegung wohl den Muslimen Vorteile zu geben bereit war, nicht aber den Unberührbaren im Hindutum. Zwar waren dazu die sog. Hindutvavadis [12], d.h. die modernistischen Hindus, die der Hindu Nation vor allen Jatis und Varnas den absoluten Vorrang gaben, bereit, doch besaßen sie damals noch wenig Einfluß. Die tatsächliche politische Führung über das Hindutum lag bei den offenen und versteckten Savarnas der Kongreßpartei des Vaishya Gandhi und des Brahmanen Jawaharlal Nehru (1889-1964). Der Kongreß repräsentierte vornehmlich die Großagrarier, die meist Savarnas waren, und naturgemäß an arbeitsrechtlichen oder anderen Verbesserungen des Loses insbesondere der Dalits nicht interessiert waren. Außerdem verhinderten sie mit Hilfe der Kongreßpartei erfolgreich die allgemeine Volksbildung, die den unteren Jatis die Bewußtseinsemanzipation, d.h. die Befreiung vom Inferioritätskomplex, erleichtert hätte. Auch lehnten sie aus Furcht vor den Massen die allgemeine Wehrpflicht ab, die einen gewichtigen Beitrag zur allgemeinen Volksbildung hätte leisten können und die Hörigkeit des Militärs gegenüber den höheren Jatis aufgeweicht hätte. Gandhi konnte infolgedessen, um die Unberührbaren aus dem Würgegriff ihrer Unterdrücker zu befreien, keinen Kreuzzug gegen die Savarnas führen [13]. Zudem darf nicht vergessen werden, daß Gandhi das Jati-System gerade nicht ablehnte, sondern lediglich die Diskriminierung einzelner Jatis, nl. der Unberührbaren. In den Jahrzehnten der Nehrudynastie hat sich, trotz Gandhis Harijan-Ideologie, der Einfluß der Jatis, insbesondere der Savarnas, noch verstärkt.
Obwohl Ambedkar das von der Kongreßpartei politisch abgesicherte Savarna Hindutum zwar nicht alleinigen, wohl aber als de facto mächtigsten Feind der Unberührbaren ausmachte, hielt er entschieden am indogenen Dharma fest. Deshalb kamen für ihn weder Islam noch Christentum als ernsthafte Alternativen in Frage. Zwar verglich er sich selbst mit dem Moses, „who liberated his people from slavery“ [14] und hegte Hochachtung vor Christus; aber dennoch stießen ihn die Christen ab, weil sie „never fought for the removal of social injustice“ und in Südindien das Savarna System praktizierten [15]. Besonders stieß er sich daran, daß die Unberührbaren, die zum Christentum konvertierten, „selfish and self-centred“ wurden: „They don’t care a snap of their finger what becomes of their former caste associates so long as they and their families, or they and a little group who have become Christians, get ahead“ [16]. Auch verleugnen die christlichen Konvertiten ihre Jati-Genossen. Deshalb wolle er auf keinen Fall die Zahl der Christen erhöhen. Außerdem würde das Anwachsen von Christen nur die Macht der britischen Kolonialherrschaft stärken [17]. Zudem sei das Christentum zu neunzig Prozent nur eine Kopie des Buddhismus [18]. Gerade diese letzte Äußerung weist Ambedkar als radikalen Verteidiger des indogenen Dharmas aus. Denn er bestreitet nicht nur die von Missionaren, indischen Christen und westlich orientierten Indern erfolgreich verbreitete Ideologie des christlichen Monopols in Sachen Nächstenliebe, sondern erklärt entsprechende christliche Lehren und Aktivitäten schlicht als Plagiate buddhistischer Ethik! [18a]
Ambedkars Wahl fiel schließlich aus drei Gründen auf den Buddhismus: „I prefer Buddhism because it gives three principles in combination which no other religion does. Buddhism teaches Prajna (understanding against superstition and supernaturalism), Karuna (love), and samata (equality). This is what man wants for a good and happy life “ [19].
Diese angeblich von Buddha gelehrten moralischen Prinzipien verstand er allerdings – wie bereits gesagt – im Sinne der abendländischen bürgerlichen Revolution, die wie Ambedkar rein am Diesseits und nicht im Geringsten am Jenseits interessiert war.
Da das tragende Motiv für Ambedkars Konversion nicht religiöser, sondern sozialpolitischer Natur war, d.h. der gesellschaftlichen Emanzipation der Unberührbaren dienen sollte, konnten ihm auch eine halbe Million seiner Jati-Genossen, der Mahars, folgen.
Diese Massen hatten vor ihrer Konversion meist keinen Bezug zum Buddhismus gehabt und folgten Ambedkar aus Gründen persönlicher Loyalität. So erklärte ein Konvertit: „We became Buddhists because Dr. Ambedkar told us so“[20]. Oder ein anderer sagte: „I got thinking about economic and social betterment and then I just followed Ambedkar to Buddhism“[21]. Eine andere Erklärung lautete: „I had no other incentive but blind love for Ambedkar and the people. This is true for many“[22].
Ambedkars Sozial-Buddhismus erscheint denn vornehmlich als „a religion of liberation of the oppressed in society“ [23]. Diese Bestimmung läßt ihn auf der einen Seite zur stärksten Konkurrenz christlicher und muslimischer Sozialideologien und auf der anderen Seite zum schärfsten Gegner der Savarnas werden.
Da wegen der Religionsverteilung Indiens rein quantitativ betrachtet der überwiegende Teil derer, die sich der Emanzipation der Unberührbaren entgegenstellten, Hindus waren, und diese Hindu Savarnas in Gestalt der Kongreßpartei die Emanzipation hintertrieben, entwickelte Ambedkar einen Antihinduismus, der dem Hinduismus als solchem den Unberührbarkeitswahn anlastete.
Die antihinduistische Wende rührt also daher, daß die politisch herrschenden Kreise Indiens unter Führung der Kongreßpartei die emanzipatorischen Kräfte des Hindutums unterdrückten und dieses zur stillschweigenden Rechtfertigung der trotz gegenteiligen Beteuerungen fortgesetzten Savarna Praxis mißbrauchten.
Da aber andererseits die Masse der Unberührbaren ebenfalls Hindus sind, wird diesen noch heute von den Neo-Buddhisten erklärt, daß sie, um weltlich befreit zu werden, den Hinduismus aufgeben und den Buddhismus annehmen müßten. Dieser undifferenzierte Antihinduismus muß jedoch scheitern, isoliert er doch den Neo-Buddhismus von den Hindu Dalits und läßt ihn auf die Dauer dann wie sooft in der indischen Religionsgeschichte zu einer Kastenreligion werden: vornehmlich zur Religion der Mahars.
Diese Selbstisolierung wäre aber nur eine Wiederholung der alten Kastenmuster: sowohl die Religion, wie andere Kulturelemente sind auf die je eigenen Kaste beschränkt. Und die Einschränkung auf den Kastenhorizont wird gerade durch die exklusive Aggressivität gesichert.
Die Ambedkariten stellen im heutigen Indien die stärkste buddhistische Kraft dar. Auch wenn die traditionellen indischen Buddhisten sich von ihnen abgrenzen, so prägen sie zunehmend das Bild des Buddhismus in den Augen der Hindus, Muslime und Christen: als einer Religion, die Beziehungen zerstört, Intoleranz predigt, Religion zu politisch-sozialen Zwecken funktionalisiert.
Trotz der extrem antihinduistischen Aggressivität [23a] wird von den modernistischen Hindus die Massenkonversion von Hindu Unberührbaren zum Buddhismus weder verurteilt noch gar verfolgt: eben weil ihnen der Buddhismus als integraler und unverzichtbarer Teil des Hindu Dharmas gilt. Diesen Hindus ist deshalb eine Konversion zum Buddhismus lieber als die früher verbreiteten Massenkonversionen zum Christentum und Islam.
Ambedkar trat dem indischen Buddhismus auch, so merkwürdig dies klingen mag, wegen dessen realer Nichtexistenz bei. Mit der Konversion zu dieser in Indien de facto bedeutungslosen Religion konnte er jedoch drei schwierige Probleme lösen:
- Da er sich unter keinen Umständen vom indogenen Dharma trennen wollte und der Buddhismus on seinen Augen zum indogenen Dharma gehörte, konnte er seiner dharmischen Bindung treu bleiben.
- Da es in Indien praktisch keine buddhistischen Savarna Jatis mehr gab, konnte im Konversionsfall kein Kastenkonflikt mit buddhistischen Savarnas entstehen.
- Da ebenfalls keine mächtige buddhistische Orthodoxie in Indien existierte, konnte Ambedkar seine ungewöhnliche Deutung des Buddhismus vertreten [24]; ohne mit einem innerbuddhistischen Konflikt rechnen zu müssen.
Man möchte fast versucht sein zu meinen, daß sich der altindische Dharma in Ambedkars Bewegung eine historische Möglichkeit der dharmischen Redintegration der Unberührbaren, die vom antimodernen Kastensystem verhindert wird, geschaffen hat. Nicht nur daß Ambedkar dazu den Bauddha Dharma erwählt hat und nicht Religionen nichtindischen Ursprungs, sondern daß seitdem von Massenkonversionen zum Christentum und Islam nichts mehr gehört worden ist, legt eine solche Deutung nahe.
Gerade der antihinduistische Ambedkarismus zeigt die überwältigende geistige Macht der indischen Dharmatradition. Durch die List der dharmischen Vernunft, d.h. durch die Hervorbringung des Neo-Buddhismus, wird die sozialethische Modernisierung des Hinduismus dialektisch vorangetrieben.
Ambedkar war sich bewußt, daß seine dharmische Option für den Sikhismus (und später für den Buddhismus) und gegen den Islam und gegen das Christentum von den Hindutvavadis akzeptiert wurde; war doch gerade ihnen die Zugehörigkeit zur Hindu Kultur wichtiger als die Zugehörigkeit zu einer der traditionellen oder neuen Hindu Religionen. „If the Depressed Classes join Islam or Christianity, they not only go out of Hindu religion, but they also go out of Hindu culture. On the other hand, if they become Sikhs they remain within Hindu culture“[25].
Und ein wenig ironisch fügt er dann hinzu, daß seine Option für die Sikhs „by no means a small advantage to the Hindus“ darstellen würde [26].
Er anerkannte demnach, daß seine innerdharmische Konversion als Votum für die Hindu Kultur gewertet werden mußte. Daß er sich trotz heftiger Ausfälle gegen den Savarna Hinduismus, nicht aber gegen die indogene Kultur oder – wie die Anti-Kasten-Hindus sagen – Hindukultur stellte, macht denn auch verständlich, daß Ambedkariten und Hindutvavadis, scheinbare Antipoden heute, dennoch gemeinsam eben diese Kultur modernisieren werden, indem sie die Macht des separatistischen Kastensystems brechen und die religiöse Separation des Dharmas beenden. Denn für die Hindutvavadis [27] stand und steht die Hindu Kultur höher als das Kastenwesen und die Ausrottung der Unberührbarkeit ist ein Fundamentalprinzip ihrer Bewegung [28].
Daher wundert nicht, daß „Ambedkar had intimate relations with the Hindutvawadis“[29] des ‚Hindu Mahasabha‘ und seines Präsidenten V.D. Savarkar. Sie verband das gemeinsame Interesse an der Ausrottung der Unberührbarkeit in der Hindu Gesellschaft. Savarkar formulierte klassisch das Urteil der Hindutvabewegung über die Unberührbarkeit: „This system of untouchability is unwarrantable and suicidal, hence only for the sake of humanity we the Hindus should eradicate it“[30]. Den Funktionär des ‚Hindu Mahasabha‘ Munje, mit dem Ambedkar eine umfangreiche Korrespondenz pflegte, fragte er betreffs seiner möglichen Konversion um Rat [31]. Später kritisierte er Savarkar, weil dieser angesichts der hindufeindlichen britisch-muslimischen Konspiration zu wenig die Hinduinteressen vertrat! [32]
Im Zweiten Weltkrieg spielten Ambedkar und Savarkar gemeinsam die militärische Karte: „Savakar blessed Ambedkar’s programme of militarisation. He expressed confidence that under the able leadership of Ambedkar the Mahar brethren would exhibit their military merits and strengthen the ‚collective power‘ with their militancy“ [33]. Daß der Chef des ‚Hindu Mahasabha‘ die militärische Bewaffnung von Unberührbaren begrüßte, zeigt wohl am klarsten die enge Verwandtschaft zwischen Ambedkar und Hindutva [34]. Die Kongreßpartei Gandhis und Nehrus verhinderte jedoch – bis heute – erfolgreich die Bewaffnung der unteren Kasten.
Savarkar erklärte darüber hinaus, um den von Mohammed Ali Jinnah beschworenen Panislamismus Einhalt zu gebieten, ein solches Bündnis „would be retaliated by hatching pan-Hindu-Buddhism.“ Die „Hindu-Bouddh unity from Jamnu to Japan“ würde den Machenschaften Jinnahs ein Ende setzen [35]. Damit wurde die später in der Hindutvabewegung selbstverständliche Einbeziehung des Buddhismus in die Hindu Kultur sogar machtpolitisch anvisiert [36]. Schließlich hat Ambedkar bei der Abfassung der Indischen Verfassung ebenfalls eng mit dem ‚Hindu Mahasabha‘ zusammengearbeitet [37].
Ambedkar hat den heute von den Hindutvavadis vertretenen ‚Hindu nationalism‘ voll geteilt; gerade diese Ideologie war das wesentliche Motiv, sich gegen die Konversion zum Islam und Christentum zu entscheiden: „Conversion to Islam or Christianity will denationalise the Depressed Classes“[38]. Ambedkar wollte unter keinen Umständen Muslime oder Christen, die von sich doch gerade behaupten, daß sie egalitäre, kastenfreie Religionsgemeinschaften seien [39], stärken!
Das hier angeführte Argument der Denationalisierung bedeutet, daß Ambedkar die indischen Muslime und ebenso die indischen Christen als Gemeinschaften ansah, die nicht zum Land, zur Nation gehörten [40]. Sie waren national exkommuniziert. Wer gehörte aber dann zu dieser Nation? Eben die Hindus, Sikhs und Buddhisten, also diejenigen, die, weil sie dem indogenen Dharma folgen, von den Hindutvavadis zur von ihnen so genannten Hindu Kultur gezählt werden [41].
Aber die absolute Dominanz des indogenen Dharmas im Denken Ambedkars geht noch weiter. Dem Dharma müssen sich sogar die Kasteninteressen der Unberührbaren unterordnen! Er rechnet vor: „On the other hand, if they embrace Sikhism, they will not only not harm the destiny of the country but they will help the destiny of the country.“ Destiny aber heißt hier der Dharma, der indische Dharma, zu dem neben Sikhs und Buddhisten trotz aller Kritik auch die Hindus zählen. Diesen Dharma dürfen die Unberührbaren nicht beschädigen – deshalb kommt nur ein Religionswechsel innerhalb der „destiny of the country“ in Frage. Nur wenn die Unberührbaren dem indogenen Dharma folgen, können sie Indien fortschrittlicher gestalten. Und dann appelliert Ambedkar an die nichtmuslimische, faktische Hindu Nation: Es sei genauso im Interesse Indiens, daß die Unberührbaren, so sie ihren Glauben wechseln müssen, den Sikhismus annehmen [42].
Die Nation der Hindus, Buddhisten und Sikhs, der indogenen Religionsgemeinschaften, muß also ein Interesse daran haben, daß die Unberührbaren nicht zu den mit der Kolonialmacht kollaborierenden Christen und den an ihrer kommunalistischen Herrschaft interessierten Muslimen überlaufen. Diese Ausgrenzung der beiden exogenen, denationalisierten, nicht zur Nation gehörenden religiösen Gemeinschaften, zeigt besonders deutlich, daß Ambedkars Nationalismus nicht auf rassischer, kastenmäßiger oder religiöser Basis ruht, sondern auf der indogenen Kultur, d.h. auf dem Dharma, der auf Indiens Erde entstanden ist – den die Hindutvavadis ‚Hindu Dharma‘ oder ‚Hindu Culture‘ nennen. Sachlich betrachtet richtet sich der Antihinduismus Ambedkars also nicht gegen den ‚Hindu Dharma‘ der Hindu Modernisten, sondern allein gegen das Savarna Hindutum unter Einschluß des Savarna Christentums.
Ambedkar hat damit die weitere Emigration der Unberührbaren Indiens aus der indogenen Kultur im Sinne der Hindu Modernisten aufgehalten. Man könnte fast meinen, daß es seine historische Aufgabe darin bestand, die Unberührbaren – um den Preis der berechtigten Denunziation der Savarna Hindus – beim indogenen Dharma festzuhalten. Ambedkars Identität war letztlich nicht in Religion, Jati, Varna oder Sprache, sondern vor allem und grundsätzlich in der indogenen Kultur begründet. Sie bildete den Rahmen und das Ziel all seiner auch radikalen Aktivitäten ab.
Nur dem Scheine nach ist also der Neo-Buddhismus Ambedkars antihinduistisch. Ambedkar hat eine gesellschaftliche Bewegung in Gang gesetzt, die, weil sie im Grundsätzlichen, im Primat der Bewahrung der indogenen Kultur, des Dharmas, und in der Grundstrategie zur Erreichung dieses Ziels, der sozialen Revolution, der Beseitigung der Unberührbarkeit und des ganzen Kastenwesens, mit der Hindutva-Bewegung übereinstimmt, höchst wirksam der Deformierung des Dharmas den sozialen Boden entziehen wird. Damit aber wird der gerade von den neuhinduistischen Hindutvavadis propagierten Egalisierung der indischen und d.h. vornehmlichen Hindu Gesellschaft, die bereits Swami Vivekananda mit seinem sozialpolitischen Programm der allgemeinen Brahmanisierung vorformuliert hat [43], von Seiten des Dalittums der Rücken gestärkt.
Anmerkungen
1] ‚Dalit‘ ist heute die Selbstbezeichnung der Unberührbaren der indischen Gesellschaft.
2] Das kolonialistische Schlagwort ‚Kaste‘ vermengt die beiden völlig verschiedene soziale Sachverhalte meinenden soziologischen Kategorien ‚Jati‘ (Geburts- und Heiratsgemeinschaft; oft auch Arbeits- und Kulturgemeinschaft) und ‚Varna‘ (gesellschaftlicher Rangplatz, Stand, ordo). Daß Varna die arbeitsteilige Zuordnung der Jatis meine, ist irrig. Diese ist ein Merkmal der Jatis selbst gewesen. Welche soziokulturelle Bewertung die jeweiligen Jatis jedoch erfahren, drückt der hierarchische Varna, ihr Stand oder Rangplatz aus. Die Dalits fielen aus dem herrschenden Varna-System heraus. Sie galten daher nicht als sog. Sa-varnas, d.h. Jatis, die dazu gehörten, sondern A-varnas, solche, die aus dem Varna-system der herrschenden Jatis, den Zweimalgeborenen, ausgeschlossen waren. Diese hierarchische Zuordnung ist aber relativ. Denn die Dalits lebten und leben nicht nur in sich von einander strikt abgrenzenden Jatis, sondern fügten diese auch in einer hierarchischen Ordnung zusammen. Sie als ‚Kastenlose‘ zu bezeichnen ist also in jeder Hinsicht unzutreffend. Kein wunder, daß eine allgemeine Dalitsolidarität zwar leicht beschworen, aber schwer zu realisieren ist.
Indien ist bis heute, wie die Serie The People of India, hrsg. im Auftrag der Anthropological Society of India (ASI) von Kumar Suresh Singh, Delhi 1993ff. schlagend bewiesen hat, eine vom Jati-System geprägte Gesellschaft. Sie setzt sich aus 4635 identifizierten Jatis zusammen. Die soziologische Kastenforschung hat diese Untersuchungen bestätigt und darüber hinaus gezeigt, daß die Macht der Jatis in der Zeit der Nehrudynastie nicht nur nicht zurück gegangen, sondern vielmehr gewachsen ist (s. dazu: D. L. Sethi: Caste and Politics: A Survey of Literature. In: Contributions to South Asian Studies 1. Ed. by Gopal Krishna. Dehli 1979).
Die indischen Parteien, die in ihren Manifesten das sog. Kastensystem verwerfen, gehen von jener Tatsache ganz selbstverständlich aus, indem sie ihre Politik offen auf der Jati-Basis entwickeln. Während das Bekenntnis zur Jati durchaus üblich ist, gilt die Befürwortung des Varna-Systems dagegen als verwerflich. Die öffentliche Verteidigung dieses Systems, der Savarna Doktrin, geschieht heute nur noch selten. Dennoch stellt die Savarna Praxis z.B. bei Heiraten und anderen Formen der privaten Interessenverfolgung den Normalfall dar. Dies gilt gerade auch für die sog. Progressiven und die sie unterstützende Presse, die sich von den offenen Traditionalisten und den jegliches Jati- und Varna-System verwerfenden Hindutvavadis dadurch unterscheiden, daß sie ihre Savarna Praxis und ihren Jati-Kommunalismus verdrängen und damit ihre tatsächliche Lebensweise dem sozialkritischen Diskurs entziehen. Diese von der Mehrheit der indischen Gesellschaft aller religiösen Richtungen betriebene Verdrängung und die geradezu absurde Bezichtigung der Hindutvavadis als Kommunalisten – erstaunlicherweise werden sie von ihren westlichen Gegnern als Nationalisten etikettiert – führt bislang erfolgreich dazu, daß die indische Gesellschaft daran gehindert wird, sich zur Weltmacht zu entfalten; statt dessen droht sie, sofern kein politischer Umschwung einsetzt, zur bedeutungslosen ‚Bananenrepublik‘ zu verkommen (so Arun Shourie: ‚It Is Just That The Banana Is Large‘. In: http: //bjp.org/ bjp/articles/ shourie/ may31-97.htm). Seit den Wahen im Jahre 1998 scheint sich in Indien ein Wandel anzuzeigen. Die Politik der von der BJP geführten Regierung weist jedenfalls in diese Richtung.
Die Nichtunterscheidung von Jati und Varna führt dazu, daß ein noch immer protektives Sozialsystem durch die Identifizierung mit einem historisch überlebten und heute destruktiven Rangplatz-System nicht progressiv fortentwickelt werden kann. Die Folge ist eine Destabilisierung sozialer Identität unter modernen Lebensbedingungen. Aber diese Destabilisierung war schon das Ziel einer schon von den islamischen Eroberern und den Kolonialmächten erfolgreich angewandten Methode der Niederhaltung Indiens durch die Destruktion nationaler und kultureller Identität mit Hilfe einheimischer politischer und intellektueller Eliten.
3] Zur Biografie s. Eleanor Zelliot: The Dalit Movement. In: Dalit – International Newsletter Vol.1, Nr.1 (1996) S. 1ff. und Balkrishna Govind Gokhale: Dr. Bhimrao Ramji Ambedkar: Rebel against Hindu Tradition. In: Religion and Social Conflict in South Asia. Ed. by Bardwell L. Smith. Leiden 1976 ( = Gokhale), S. 14ff.
4] Vgl. dazu T. S. Wilkinson: Buddhism and Social Change among Mahars. In: Ambedkar and the Neo-Buddhist Movement. Edited by T. S. Wilkinson and M. M. Thomas. Madras 1972 ( = Wilkinson)
5] In dieser Funktion erreichte er, daß das buddhistische Rad der Lehre in die indische Nationalflagge aufgenommen und Ashokas Löwen-Kapitell zum nationalen Symbol des freien Indien auserkoren wurde.
6] Gokhale S. 17; zur Kabir Religion vgl. William J. Dwyer: Bhakti in Kabir. Patna 1981.
7] B. A. M. Paradkar: The Religious Quest of Ambedkar. In: Wilkinson, S. 55ff.
8] D. C. Ahir: Buddhism in Modern India, 1991 (= Ahir), S. 18
9] Wilkinson, S. 66
10] Ahir, S. 22
11] Als Savarnas werden im folgenden die Befürworter und Praktizierer des herrschenden Kastensystems genannt. Sie befinden sich in allen indischen Religionsgemeinschaften und ebenso unter den Marxisten (vgl. Jose David: Communist Kerala citadel crumbling under casteist ostracism. Indian Express, 9. März 1997; Ahmad, Imtiaz: Caste and Social Stratification among Muslims in India. Delhi: Manohar 1978; darin insb.: A. R. Momin: Muslim Caste in an Industrial Township of Maharashtra). – Avarnas sind für die Savarnas jene Jatis, die von Manu nicht zu seinem Varna-Modell (Brahmanen, Kshatriyas, Vaishyas, Shudras) gerechnet werden. In der Forschung wird diese von den Savarnas geschaffene Etikettierung meist unkritisch übernommen. Förderer des Manu Modells waren islamische sowie vor allem die kolonialen Machthaber Indiens. Neuerdings hat Bimal Chandra Mahapatra: Buddhism and Socio-Economic Life of Eastern India, Delhi 1995, nachgewiesen, daß es aber gerade buddhistische Könige (von Orissa und Bengalen) waren, die das brahmanische Kastenwesen eingeführt haben. So schreibt er erstaunt, weil der Ideologie des angeblich kastengegnerischen Buddhismus anhängend: „Though Ksamankara (sc. König von Orissa, 8. Jahrh. n. Chr.; der Verf.) was a staunch follower of Buddhism he established four orders (caste) in their proper place.“ Der ideologische Zwang, hervorgerufen von einer indologisch-westlichen Propaganda, wirkt so stark, daß der Autor seine Forschungsergebnisse nicht nur nicht zur Kritik und Revision der bisherigen stark ideologischen Buddhismusgeschichte verwendet, sondern sie irritiert ideologisch neutralisiert: nach der Melodie, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Es ist nach Mahapatras Forschungen aber offenkundig, daß während der buddhistischen Herrschaft Indiens das Varna-System durchgesetzt wurde und daß folglich erst die Bhaktibewegung der Hindu Religionen dieses System religiös aufweichte. Der Frontalangriff auf das Kastensystem ist in Indien rein hinduistischen Ursprungs.
12] Hindutvavadis (dazu gehören die Indische Volkspartei [BJP], Vishva Hindu Parishad [VHP], Rashtriya Svayamsevak Sangh [RSS] usw.) verfechten Einheit, Gleichheit und Entwicklung des Hindutums. Ihre Feindschaft gegen das Kastenwesen, d.h. gegen die Dominanz der Jati gegenüber der Nation und die Diskriminierung von einzelnen Jatis, insb. der Unberührbaren oder Dalits, ist daher nicht nur moralisch, sondern auch realpolitisch begründet. Die heftige Aggression, die sie in Indien auslösen, hat darin ihre Wurzel: wegen ihres Nationalismus glaubt man ihnen, daß sie das Kasten-System liquidieren werden. Bei den anderen politischen Parteien weiß man, daß sie sich auf entsprechende Deklamationen beschränken und im übrigen kommunalistisch Jatis als ‚vote banks‘ für ihre Wahlsiege mißbrauchen (insb. der Indische Nationalkongreß, die Samajwadi Party und der Janata Dal). Daß die Indische Volkspartei, die politische Partei der Hindutvavadis, 1997 nicht nur die Wahl eines Dalit zum indischen Staatspräsidenten unterstützte, sondern durch ihre Initiative ein Dalit erstmals (März 1998) Parlamentspräsident wurde- im übrigen gegen die Stimmen der o.g. Parteien – , ist im übrigen daher leicht erklärlich.
13] Ambedkar: Gandhi and the Fast. In: Dr. Babasaheb Ambedkar: Writings and Speeches. Edited by Vasant Moon. Bombay 1990 (=WS) Vol. 8, S. 375ff.
14] Wilkinson, S. 59
15] Wilkinson, S. 59; Ambedkar ist der überzeugendste Zeitzeuge dafür, daß die missionaristische Ideologie, die Christen in Indien seinen im Gegensatz zu den Hindus der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet, nichts als Propaganda ist. Dasselbe gilt auch für die Missionsideologie, daß das Varna-System unter den Christen Indiens nicht gelte und eine Besonderheit des Hindutums sei. Daß das Savarna Christentum noch heute kräftig floriert, wurde von den innerkirchlichen Aufständen der christlichen Dalits aufgedeckt. Zwar konnten die christlichen Dalits einige Positionen in den indischen Kirchen erringen (z.B. das Bischofsamt in Chennai und Delhi); dennoch halten die Savarna Christen die Kirchenleitung und die Verfügung über die westlichen Geldmittel fest in ihrer Hand.
16] Dies ist zweifellos der schwerwiegendste moralische Vorwurf, der gegen die christlichen Konvertiten erhoben worden ist. Er zeigt aber auch, daß für Ambedkar die Treue zur und die Solidarität mit der eigenen Jati eine Gewissensangelegenheit war. Ambedkar sah klar, daß der Verrat der Jati durch die christlichen Jati-Apostaten diese Christen, das heißt primär Dalit Christen, zu nützlichen Helfern des Kolonialregimes werden ließ und durch die Schwächung der Schutzgemeinschaften der Unberührbaren die Macht der höheren Jatis festigte.
17] Wilkinson, S. 60f.
18] Wilkinson, S. 62
18a] Ambedkars Kritik des christlichen Plagiats buddhistischer Ethik weist auf die Notwendigkeit vergleichender Erforschung von sozialen Hilfesysteme in den verschiedenen Religionskulturen hin. Unter dem Druck des christlichen Vorurteils ist dieser Forschungszweig bislang sträflich vernachlässigt worden. Erste Versuche s. Matthias Benad und Edmund Weber (Hrsg.): Diakonie der Religionen 1: Studien zu Lehre und Praxis karitativen Handelns in der christlichen, buddhistischen, Hindu und Sikh Religion. In: THEION – Jahrbuch für Religionskultur VII. Frankfurt 1996.
19] Wilkinson, S. 62. Diese Darstellung des Buddhismus ist reines Wunschdenken. Ambedkar, obwohl historiographisch versiert, erfindet denn auch aus ideologischer Aktualität diesen modernen Idealbuddhismus. Die internationale Propaganda folgt dieser Methode, indem sie, wider alle Erfahrung mit buddhistischen Ländern, denen Gewalt nach Innen (China, Kambodscha, Burma, Shri Lanka), Aggression nach Außen (China, Japan) oder moralischen Verfall (Thailand) nicht unbekannt sowie Demokratie und Menschenrechte meist fremd sind, den Buddhismus aus der öffentlichen Kritik herausnimmt.
20] Wilkinson, S. 112
21] Wilkinson, S. 112
22] Wilkinson, S. 112
23] Wilkinson, S. 119; vgl. Edmund Weber: Religion – A Source of Oppression and Liberation (of the Dalits). In: Bulletin of the Christian Institute for Religious Studies, Batala, Panjab, Indien, Bd. 23, Nr. 2 Juli 1994, S. 1ff. ; bzw. Journal of Religious Culture, No. 02.
23a] Daß hinter dem Kampf gegen die Solidarisierung der mehrheitlich Hindu und anderen Dalits nicht nur ein indisches, sondern auch ein westliches Interesse steht, macht die aggressive Propaganda der o. bereits genannten Dalit – International Newsletter deutlich. Owen M. Lynch: ‚Dalit Buddhism: The Liberate Bodh Gaya Movement‘ (Vol. 3 No.1, Febr. 1998) ist ein Beispiel dafür, wie nichtindische Interessengruppen unter Mißbrauch der buddhistischen Religion versuchen, die Dalits zur Destabilisierung Indiens zu verwenden. Zugleich sollen auch die Buddhisten gegen die Hindus aufgebracht werden. Dahinter steckt die richtige Ahnung des Verfassers, daß Indiens historische Chance in der Erneuerung des Hinduismus durch seine Wiedervereinigung mit seiner buddhistischen Tradition und in der von der Hindutvabewegung forcierten Bekämpfung des Savarna Kastenwesens, d.h. der Befreiung der Unberührbaren, liegt – und diese Erneuerung soll eben verhindert werden.
24] Vakil: Gandhi-Ambedkar-Dispute. New Delhi 1991 (=Vakil), S. 107: „Ambedkar did not explain Buddhism as it was but as what it ought to be“.
25] Wilkinson, S. 56. Im Zusammenhang mit der Pakistanfrage behauptet Ambedkar ganz entschieden: „There (sc. in Indien; der Verf.) has been a cultural unity from time immemorial“ (WS Vol. 8, S. 348), d.h. daß diese kulturelle.Einheit, der indogene Dharma, nicht aufgeben werden solle, „simply because some Muslims are dissatisfied“! (WS, Vol. 8, S. 348)
26] Wilkinson, S. 56
27] s.o. Anm. 12
28] So faßte der Zweite Hindu Weltkongreß 1977 in Prayag (Allahabad) folgenden Beschluß: „(1) To protest untouchability even if it is practised anywhere; (2) To create immediately such an atmosphere in which such tendencies and attidudes cuold be discouraged and dispelled; (3) To arouse social consciousness to disqualify all tendencious efforts to fan the passions over untouchability for political bargaining by anti-national elements. This Vishva Hindu Sammelan makes an unequivocal declaration that nobody among the Hindus is an untouchable“ (In: Hindu Vishva, March-April 1979, Vol. 14, No 7 & 8 Special Number: Second World Hindu Conference). Zu den Sieben Fundamentalzielen (‚Objectives‘) von Vishva Hindu Parishad, der größten Hindu Organisation der Welt, gehört: (7) „To eradicate the concept of untouchability from the Hindu society“ (In: Global Vision 2000. Global Conference Washington D.C. 1993, S. 54). Beispiele für die systematische Verletzung des Unberührbarkeitstabus durch Hindutvavadis, hier von Mitgliedern des ‚Rashtriya Svayamsevak Sanghs‘, gibt z.B. H. V. Seshadri: ‚The ‚Mantra‘ for Exorcising Untouchability‘. In: Hindu Vishva, November 1985, S. 7f. Die Hindutvavadis haben einen prinzipiellen Grund, der sie zwingt, die Ausrottung der Unberührbarkeit voranzutreiben: ihr Hindu Nationalismus. Ihr Argument ist genau dasjenige Ambedkars, daß die Hindu Gesellschaft nur überleben kann, wenn sie soziale Gleichheit herbeiführt. Die Hindutvavadis sind also Anti-Kasten-Hindus; sie stehen damit im scharfen Gegensatz zu den Savarnas, den Kasten-Indern, die in allen Religionsgemeinschaften und insbesondere in den sog. säkularen Parteien, die das Kastenwesen zu politischen Zwecken mißbrauchen, zu finden sind. Ambedkars prophetische Äußerung: „In my opinion only when the Hindu society becomes a casteless society that it can hope to have strength enough to defend itself. Without such internal strength, Swaraj (Souveränität; der Verf.) for Hindus may turn out to be only a step towards slavery“ (WS Vol. 1, 1989, S. 80) ist von niemand besser begriffen und entschlossener aufgegriffen worden als den Anti-Kasten-Hindus der Hindutva. Ambedkar stand dieser kastenfeindlichen Ideologie der Hindutvavadis deshalb sehr nahe, ja er versuchte sogar, dem ‚Hindu Mahasabha‘ beizutreten. Als jüngste Beispiele für die ungebrochene prodalitische Ideologie der Hindutvavadis seien nur die Unterstützung der Bharatiya Janata Party bei der Wahl der ersten Dalit, Frau Mayavatis, zur Ministerpräsidentin des volkreichsten indischen Bundesstaates Uttar Pradesh sowie die Prodalitpropaganda der Hindutvavadis heute genannt. Dazu heißt es 1987 in einer Festbroschüre von ‚Vishva Hindu Parishad‘ in Frankfurt am Main: „Good bye to Untouchability. Untouchability has been the scourge of India. … Caste has not been created by God or nature. … Still untouchability had run deep roots in the hearts and minds of the caste Hindus who arrogated themselves a superior suit. … The Vishva Hindu Parishad tried and was successful in the last Prayag (= Allahabad) Sammelan (= Kongreß) in putting forth a resolution condemning this practice of untouchability in unequivocal terms by the Mathadhipaties (= Leiter der Maths, großer Hindu Zentren und Klöster), which was forcefully supported by various religious heads. Nearly 36 Dharmacharyas (= theologische Autoritäten), Jagatgurus (= religiöse Hauptleiter) and leading Swamis (= Mönche) signed a resolution condemning practice of untouchability …“. Hier wird deutlich, daß die Hindutvavadis die Hindus in zwei Klassen aufteilen: 1. diejenigen, die das Kastensystem praktizieren und 2. diejenigen, die es verdammen. Zu letzteren zählen, abgesehen von den Hindutvavadis, die bedeutendsten Hindu Autoritäten Indiens. Die antihinduistische Propaganda versucht systematisch die Weltöffentlichkeit mittels Desinformation, daß die Hindutvabewegung vom Kastengeist beseelt sei, irre zu führen. Der Grund für diese Kampagne liegt darin, daß die Hindutvavadis die Führung des Hindutums übernommen haben, den Kastengeist in den eigenen Reihen auszurotten beginnen und so den Hinduismus dazu verhelfen, ein weltweit gleichrangiger interkultureller Partner und Konkurrent zu werden. Das Ende des religiös-kulturellen Kolonialismus hat nicht nur der Islam, sondern auch der Hinduismus eingeläutet.
29] Vakil, S. 94 (4)
30] Zit. bei Vakil, S. 120 Anm. 2
31] Vakil, S. 94 (4)
32] Vakil, S. 132
33] Vakil, S. 132
34] Gandhis gleichzeitig angezettelte antimilitärische ‚Quit India!‘-Kampagne sollte in dieser Perspektive ganz offenbar verhindern, daß Anti-Kasten-Hindus und Unberührbare sich gegen die vom Kongreß und der Kolonialmacht gesicherte Kastengesellschaft, die der Mahatma nicht in Frage stellte, durchsetzten. Dazu hätte dann auch der sog. friedliche Widerstand und die Ausspielung der Muslime gegen die Hindus gedient.
35] Vakil, S. 138f.
36] Vakil, S. 138
37] Vakil, S. 180
38] Times of India am 24. Juli 1936, zit. bei Wilkinson, S. 56
39] Ein Mythos, der gerade auch von den Pseudo-Säkularisten der Kongreßpartei und den linken Parteien Indiens aus wahltaktischen Gründen verbreitet wird. Die Kastenforschung hat längst die Abhängigkeit auch dieser Religionsgemeinschaften vom Kastenwesen nachgewiesen. Daß diese Forschungsergebnisse in der öffentlichen Diskussion mißachtet werden, dient den Savarnas aller Religionsgemeinschaften dazu, die Dalits zu spalten. Ambedkar selbst hat die Kastenverfassung der muslimischen Gemeinschaft Indiens gewußt und detalliert beschrieben: „Take the caste system. Islam speaks of brotherhood. Everybody infers that Islam must be free from slavery and caste. … But if slavery has gone, caste among Muslamans has remained. … But facts for Bengal are enough to show that the Mahomedans observe not only caste but also untouchability.“ Besonders über vermerkt Ambedkar, daß es unter den Muslimen keine soziale Reformbewegung gibt, die er bei den Hindus findet. Im Gegenteil: „Indeed, they oppose any change in their existing practices“ (‚Pakistan: Social Stagnation‘. WS Vol. 8, S. 230).
40] Ambedkar hat in seiner Schrift: ‚Pakistan or the Partition of India‘, Bombay 1940, jede mögliche Einheit zwischen Hindustan und (dem noch nicht existenten, aber als Land der indischen Muslime gedachten) Pakistan verworfen: „The unity between Pakistan and Hindustan is a myth,“ weil eine „unity“ auf einer spirituellen Verwandtschaft beruhe: „If unity is to be of an abiding character, it must be founded on a sense of kinship, in the feeling of being kindred. In short, it must be spiritual.“ Eine solche spirituelle Verwandschaft gibt es aber zwischen Hindus und Muslimen nicht. Mit wem aber identifiziert sich in diese Beziehung? Dies macht der nächste Satz deutlich: „Indeed, there is more spiritual unity between Hindustan and Burma than there is between Pakistan and Hindustan“ (WS Vol. 8, S. 66). Buddhismus und Hinduismus sind also wesenhaft, weil spirituell, miteinander verwandt; aber der Islam (und ebenso das Christentum) gehört nicht zu dieser Familie, denn Pakistan, d.h. die indischen Muslimschaft, „which, to repeat, is politically detachable from, socially hostile and spiritually alien to, the rest of India.“ Zu diesem Rest zählt aber auch Ambedkar und seine Neo-Buddhisten und Unberührbaren. Diese Vorstellung von der Andersartigkeit der indischen Muslime hat Ambedkar derart radikalisiert, daß er den Hindu Mahasabha und Mahatma Gandhi heftig schalt, weil sie die Abspaltung Pakistans nicht hinnehmen wollten, vielmehr davon ausgingen, daß die Muslime sehr wohl im mehrheitlich hinduistischen freien Indien gesichert leben würden (Vgl. seinen Artikel: ‚Hindu Alternative to Pakistan‘. WS Vol. 8, S. 129ff.). Ambedkar war einer der maßgeblichen antimuslimischen Ideologen und ein kulturell motivierter Propagator der Spaltung Indiens. Die Hindutvavadis und Gandhi wurden in diesem Punkt von Ambedkar rechts überholt. Die extreme Kritik Ambedkars an der Hindu Gesellschaft hat ihn – und hier wird die unbedingte Dharmabindung besonders deutlich – nie auf den Gedanken gebracht, mit seinen Unberührbaren nach Pakistan auszuwandern; statt dessen ließ er seine Kastengenossen weiter in der nach ihm so verruchten Hindu Kasten-Gesellschaft. Pakistan war für Ambedkar „the obvious remedy“ für die Beendigung der sozialen Stagnation der Muslime und Hindus. Er versprach sich demnach von der Spaltung Indiens eine Verbesserung der Hindu Gesellschaft, in der er ja verbleiben wollte und verblieb – zu Gunsten der Unberührbaren: „Unless there is unification of the Muslims who wish to separate from the Hindus and unless there is liberation of each from the fear of domination by the other, there can be no doubt that this malaise of social stagnation will not be set right.“ (WS Vol. 8, S. 248)
41] Vakil, S. 177: „However, culturally as Ambedkar thought the Buddhism was not different from Hinduism. Therefore the Indian Culture absorbed other religions having their origin in India. The Indian culture removed the separate entities of Buddhism and Jainism.“ Und dann liefert Vakil das überzeugendste Argument dafür, daß Ambedkar die Buddhisten und andere indogene Gemeinschaften als Hindus verstand: „Ambedbkar must be in the know of this therefore in the Indian Constitution Buddhist, Jain and Sikh people are treated as Hindus.“
42] Wikinson, S. 57
43] Vgl. dazu Journal of Religious Culture, Nr. 05a bzw. Nr. 05b
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