Die alternative Religion Franz von Assisis
Nr. 212 (2016)
Prof. Dr. Lothar Graf zu Dohna
in kollegialer Freundschaft gewidmet
Am Ende seines Lebens, als sich sora nostra morte corporale[2], unsere Schwester Leibestod[3], anschickte, zu ihm zu kommen. um ihn, ihren Bruder, für immer zu sich zu holen, denn de la quale nullu homo vivente po skappare[4], – der sich kein lebender Mensch entziehen kann, hat Franz Worte niederschreiben lassen, in denen er – unbekümmert um alle irdischen Belange – seinen Brüdern und Schwestern Menschen mitteilt, was ihn bewegte, was er erlebte, was er erträumte und was er wollte.
In seinem sogenannten Testament[5] teilt Franz zuallererst mit, wozu und auf welche Weise er einst bekehrt wurde. Er bekehrte sich nicht zu Gott oder den Erlöser der Welt Jesus Christus[6] oder zu sonst einem überirdischen Wesen. Er bekehrte sich auch nicht zu irdischen Wesen, zu den Aussätzigen. Er erlebte eigentlich überhaupt keine aktive Bekehrung. Franz schildert sein Umkehrungserlebnis so:
Et ipse Dominus conduxit me inter illos et feci misericordiam cum illis. Et recedente me ab ipsis, id quod videbatur mihi amarum, conversum fuit mihi in dulcedinem animi et corporis.[7] – Der Herr selbst führte mich unter jene, d.h. die Aussätzigen,[8] und ich verteilte Almosen unter die Kranken. Als ich mich gerade von ihnen abwandte, wurde mir auf einmal das, was mir bislang bitter erschien, in Süßigkeit der Seele und des Leibes verwandelt.
Nach seinen eigenen Worten wurde ihm die emotionale, hier geschmackliche Wirkung, die bislang das Anschauen der Leprosen in seiner Seele und seinem Leib hervorgerufen hatte, nämlich der durch Ekel hervorgerufene Geschmack von Bitterkeit, radikal ins Gegenteil, in den Geschmack von Süßigkeit[9] gekehrt. Das Anschauen, videre, der entstellten Leiber löste in ihm Süße, Sättigung, aus, die keinerlei Bitterstoffe zur Wiedergewinnung der vom Ekel blockierten Lebenslust benötigte.
Dieses neue Erleben, das Franz nicht selbst herbeigeführt hatte, sondern das ihm unbeabsichtigt widerfahren war, gab ihm die Möglichkeit, die Aussätzigen sozusagen mit den Augen Gottes zu sehen, d.h. sie in ihren entstellten Leibern als wunderbare Geschöpfe zu erkennen: selbst die schrecklichste Krankheit, Aussatz, erschien ihm nun als Ausdruck der Schönheit der Schöpfung Gottes.
Dieser gleichsam göttliche Blick auf die Aussätzigen war der Beginn des neuen Lebens. Das vorherige Leben beschrieb Franz mit den Worten: cum essem in peccatis, als ich in Sünden war. Dieses Sein in den Sünden hatte ihn in seiner Verblendung Ekel vor den Aussätzigen, diesen schönen Geschöpfen Gottes, empfinden lassen. Nun aber war das Sein in peccatis, in Sünden, die Angst vor Armut, Krankheit und Tod endgültig vorbei.
Franz hatte die schöpfungsmäßige dulcedo, Süße, hervorrufende Schönheit der Leprosen geschaut. Sie war der Grund, weshalb er gleich Siddharta Gautama, der spätere Buddha, in die Hauslosigkeit zog. Im Gegensatz zu diesem verließ er das Leben im saeculum, in der Welt, in peccatis, in Sünden sein, gerade nicht wegen Tod, Krankheit, Alter und Armut; wegen dieser als schrecklich empfundenen menschlichen Möglichkeiten geriet er gerade nicht in mystische Panik. Franz geriet überhaupt nicht in Panik, Angst und Schrecken angesichts jener menschlichen Möglichkeiten. Im Gegenteil: Gerade sie erfüllten ihn seit conversum fuit mihi, seit es mir umgewandelt worden ist, als elementare Bestandteile des wahren Lebens mit höchster Freude.
Den Ekel, den Franz vor Menschen, die von Lepra befallen und entstellt waren, einst empfand, der seinen Organismus nötigte, amarum, Bitterstoff, zu produzieren, um den tiefgreifenden Widerwillen zu neutralisieren, hatte ihn im saeculum, in der Welt, gehalten, in einer Welt, die insbesondere das langsame Dahinsiechen und Absterben der Leprosen sogar liturgisch aus der Stadt verbannte.[10]
Als dieser Ekel aber verschwand, als ihm seine an das saeculum, die Welt gefesselte Existenz, sein Sein in peccatis, in Sünden, mit Leib und Seele in eine andere Existenz konvertiert wurden war, und die Gelegenheit dazu hat er selber nicht gesucht, sie wurde von Gott arrangiert, sagt er doch im Testament: Et ipse Dominus conduxit me inter illos [11], erstrahlten Armut, Krankheit, Verfolgung und Sterben als Möglichkeiten wahren und vollkommenen Lebens. Die damit einhergehende laetitia[12], Freude, ließ Franz in Gotteslob ausbrechen und sich an eigener Armut, Krankheit und an eigenem Sterben die Krönung seiner Geschöpflichkeit erleben.
Franzens sog. Sonnengesang[13] ist daher nur die Verallgemeinerung des Schlüsselsatzes seiner Bekehrung: conversum fuit mihi in dulcedinem, umgewandelt worden ist es mir in Süße. Indem auf einmal der Aussätzigen Anblick süß schmeckte, war das irdische Leben jenseits des saeculum, der Welt, die von Gewalttätigkeit, Sucht nach materiellem Reichtum und Genuß, von Lebensgier beherrschte Menschengesellschaft, für Franz zur bergenden Heimat, zum Paradies auf Erden geworden.
Der Anblick der leprösen Kranken, der im saeculum, in der Welt, Panik hervorrief und die überlebenswichtige Reaktion der Bitterkeit auslöste, im verwandelten Franz dagegen das Gefühl des Süßen so intensiv – wie eine Mutter ihren Säugling erlebt oder wie einem Säugling die Muttermilch schmeckt – aufbrechen ließ, daß er sogar von der Obsession, sora nostra morte corporale, unsere Schwester Leibestod[14], als seine Todfeindin anzusehen, befreit wurde, dieser verwandelte neue Anblick war das Ausgangserlebnis, überall in der Schöpfung Brüder und Schwestern voller dulcedo, Süße, zu finden, auch dort, wo das saeculum, die Welt, das Sein in peccatis, in Sünden sein, von Angst und Schrecken befallen wurde.
Doch nicht genug damit. Der Tod galt ihm nicht als der Sünde Sold; eine geliebte Schwester war sie ihm geworden, diese sora nostra morte corporale, unsere Schwester Leibestod. Durch sie, durch das natürliche Sterben, empfängt der Schöpfer ihm gebührendes Lob: Laudato si, mi signore, per sora nostra morte corporale.[15] – Gelobt sei mein Herr durch unsere Schwester Leibestod.
Das Nahen dieses Gottesgeschöpfs, dieser seiner Schwester, versetzte Franz nicht in Schrecken; ganz im Gegenteil. Als ihm ein Bruder mitteilte, daß die Ärzte festgestellt hätten, daß er todkrank sei und in Kürze sterben werde, lobte Franz darob seinen Herrn und sagte zu dem Überbringer der Todesnachricht: Nun, wenn der Tod ist nahe, ruft mir die Brüder Angelo und Leonardo her, damit sie mir von Schwester Tod singen. Die beiden Brüder kamen und sangen unter Tränen den Sonnengesang, in dem Schwester Leibestod als Gotteskind gepriesen wird, als eine Kreatur, durch die das Gotteslob erschallt.[16]
Aber wenn das Sterben eine Schwester ist, verliert das auf Lebensgier gründende saeculum, die am habere[17], am Haben, hängende Welt, alle Macht; dann kann man Armut als domina nostra sanctissima paupertas, als unsere allerheiligste Frau Armut erwählen, sagte Franz doch über sie: Pro meis divitiis, pro mea domina, paupertatem elegi[18] – Als meinen Reichtum, als meine Herrin habe ich die Armut auserlesen.
Als seinen letzten Willen schärfte er denn auch seinen Brüdern die Liebe zu Frau Armut ein: (4) semper diligant et observent dominam nostram sactam paupertatem.[19] – Immer sollen sie unsere heilige Herrin Armut lieben und beachten. Denn: (11) Sancta paupertas confundit cupiditatem et avaritiam et curas huius saeculi.[20] – Die Heilige Armut macht Leidenschaft, Habgier und Sorgen der Welt zu Schanden.
Auf diese Weise löschte Franz für sich den meritorischen Gebrauch von Frau Armut aus. Armut sah er nicht mehr als Mittel für den Gewinn eines seligen Lebens im Jenseits an. Sie war ihm selige Endgestalt der Geschöpflichkeit auf Erden geworden. Als solche begehrte und liebte er Frau Armut. Der hl. Klara schrieb er: (1)Ego frater Franciscus parvulus volo sequi vitam et paupertatem altissimi Domini nostri Jesu Christi et eius sanctissimae matris et perseverare in ea usque in finem; (2) et rogo vos, dominas meas, et consilium do vobis, ut in ista sanctissima vita et paupertate semper vivatis. (3) Et custodite vos multum, ne doctrina vel consilio alicuius ab ipsa in perpetuum ullatenus recedatis.[21]– Ich Bruder Franz, ein unbedeutender Mensch, will dem Leben und der Armut unseres Herrn Jesu Christi und seiner allerheiligsten Mutter nachfolgen und in ihr (sc. der Armut) bis an das Ende meines Lebens verweilen. (2) Und ich ersuche Euch, meine Herrinnen (sc. Klara und ihre Genossinnen) und gebe Euch den Rat, immer in diesem allerheiligsten Leben und (in der allerheiligsten) Armut zu leben. (3) Und achtet streng darauf, niemals weder durch irgendeine Lehre noch durch irgendeines (sc. Menschen) Ratschlag, von wem auch immer er kommen mag, auch nur irgendwie davon abzuweichen.
Die Religion des saeculum, der Welt, in der der Mensch der Vorstellung verhaftet ist, daß die Existenz der Armut, der Krankheit und des Sterbens gerade nicht die Vollkommenheit ausmacht, daß der Mensch versucht ist, ihr, wo immer es nur geht, zu entfliehen, indem er mittels Arbeit oder Gewalt irdischen Reichtum, Macht und Anerkennung ansammelt, in der vermeintlichen Hoffnung, auf diese Weise ein gelungenes Leben auf Erden führen und mittels guter Werke sich ein gutes jenseitiges Weiterexistieren sichern zu können.
Franz übte den letzten meritorischen Akt kurz vor dem conversum, seiner passiven Bekehrung, aus, als er den Leprosen in frommer Weise misericordia, eine barmherzige Gabe, ein verdienstliches, sein künftiges Seelenheil förderndes Almosen, stiftete.
Danach war solches ihm gleich zwiefach unmöglich geworden. Denn einmal waren ihm die Leprosen in ihrer Aussätzigkeit Quelle von süßem Genießen und zum anderen beneidete er sie und andere Elende gerade ob ihres miserablen Zustands.
Niemand war daher weniger karitativ engagiert als Franz.[22] Gab er einem Armen sein Letztes, so deshalb, weil er diesen übertreffen wollte – in Elend und Not, um sicherzustellen, daß seine Liebe zu Frau Armut die feurigste, seine äußerliche Armut die größte sei. Nichts war dem poverello, dem Liebhaber und Troubadour von Frau Armut, schrecklicher, als daß irgendwer äußerlich ärmer wäre als er. So berichtet sein Biograf Thomas von Celano: 1 Accidit die quadam (cfr. Gen 39,11), cum praedicando vir Dei (cfr. 1 Re 2,27) discurreret, pauperculum quemdam obvium habere in via. 2 Cuius cum nuditatem conspiceret, compunctus ad socium vertitur dicens: “Magnam verecundiam intulit nobis huius inopia, et nostram paupertatem plurimum reprehendit”. 3 Cui respondit socius: “Qua ratione, frater?”. Et sanctus lamentabili voce respondit: “Pro meis divitiis, pro mea domina, paupertatem elegi, et ecce relucet magis in isto. 4 An ignoras, quod per totum mundum insonuit extremos pro Christo nos pauperes esse? Sed aliter se habere, pauper iste convincit!“[23] – 1 Eines Tages geschah es, als der Mann Gottes (sc. Franz) predigend herumzog, daß er unterwegs einen Armen traf. 2 Als er dessen Nacktheit sah, wandte er sich ganz betroffen seinem Gefährten zu und sprach: „Dessen Not hat uns einer großen Schande ausgesetzt und unsere Armut gänzlich als tadelnswert erwiesen.“ 3 Ihm antwortete der Gefährte: „Aus welchem Grund, Bruder?“ Und der Heilige erwiederte mit wehklagender Stimme: „Als meine Reichtümer (und) als meine Herrin habe ich die Armut erwählt, und siehe, sie leuchtet stärker in diesem (Armen). 4 Weißt Du nicht, daß es durch die ganze Welt erschallt, daß wir um Christi willen die Allerärmsten seien? Aber es verhält sich ganz anders: Dieser Arme hat uns überführt!“
Hier zeigt sich das besondere Verhältnis Franzens zur Armut und zu den Armen in prägnanter Form. Als er einst all seine Habe verschenkte, tat er dies gerade nicht, um Armen zu helfen, sondern weil er seinen Besitz loswerden wollte, um so in den Stand der wahren, d.h. der äußerlichen ‚Armseligkeit‘ eintreten zu können – und zwar als Ärmster der äußerlich Armen. Er wollte in der Hierarchie der äußerlichen Armut die höchste Stelle einnehmen. Dies war er Frau Armut, seiner Herrin auf Erden, schuldig. Armut war nichts, das es zu beseitigen, sondern zu erstreben galt – wollte man imitator, Nachahmer der Lebensweise Jesu Christi und seiner Mutter sein. Die materiell Armen waren durch ihren äußeren Stand, ganz unabhängig von ihrer inneren Einstellung zu ihrem erbärmlichen Schicksal, wahre Nachahmer Jesu Christi und Mariens.
Arme reicher, gesünder, gebildeter, gesicherter und satter zu machen, das auch noch als Nächstenliebe zu deklarieren, obwohl man damit doch nur Anerkennung in der Welt suchte und Verdienste für das eigene bessere Leben im Jenseits sammelte, all das war das Gegenteil von dem, was Franz durch sein Erlebnis nach dem feci misericordiam[24], nach dem Almosen habe ich gegeben, zu Teil geworden war.
Das, was er den kreatürlichen Brüdern und Schwestern mitteilen wollte, bestand in dem, was er mit dem traditionellen Sprachgebrauch Evangelium nannte: la dolce vita, ein süßes irdisches Leben, das sich nicht in Gesinnungstäuschungen von sogenannter innerlicher oder freiwilliger Armut oder wie alle diese Franz unterstellten Formen von Scheinarmut heißen mögen, verstrickte. Vollkommen galt ihm nur, wer äußerlich, materiell und kulturell nichts vorweisen konnte. Seine Jünger fragten nach innerlicher und freiwilliger Armut, um die Menschen, die bloß äußerlich im Elende leben und begierig sind, ihr Los im Sinne, des saeculum, der Welt, zu ändern, und ganz und gar nichts von freiwilliger Armut halten, zu deklassieren.
Gerade gegen diese hochmütige Armutsideologie verwahrte sich Franz aber ganz entschieden. In Rocca di Brizio kam es deswegen sogar zu einem regelrechten Eklat mit einem seiner Brüder. Als Franz dort einst predigte, mischte sich ein schwerkranker Armer unter seine Zuhörer. Franz fühlte Mitleid mit dessen zwiefachen Elend, dessen Bedürftigkeit und Mattigkeit, und begann mit einem seiner Brüder ein Gespräch über Armut. Als der Genosse des Heiligen zu Franz sagte: „Bruder, es ist wahr, daß dieser ein Armer ist, aber vielleicht ist in der ganzen Gegend keiner, der reicher an Begierden ist“, schalt ihn Franz und forderte ihn auf, seine Tunika auszuziehen, sich selbst vor die Füße des Armen zu werfen, und sich diesem gegenüber schuldig zu bekennen: „Nicht allein bitte um Vergebung, sondern zugleich erflehe dessen Fürbitte“. Der Bruder gehorchte, tat Satisfaktion und kehrte zurück. Franz sagte dann zu ihm: „So du einen Armen siehst, mein Bruder, wird dir ein Spiegelbild des Herrn und seiner armen Mutter vorgehalten. So betrachte auch an den Kranken die Krankheiten, die der Herr für uns auf sich genommen hat![25]
Es sind die äußerlich Armen und die Kranken, die Elenden, und dies wurde Franz nicht müde zu betonen, in denen der arme Herr und seine arme Mutter sich wiedererkennen. Allein sie sind ihre Spiegelbilder. Innerlich gute Absichten oder niedere Begierden sind diesbezüglich völlig irrelevant.
Franz hat auch die freiwillige Armut als solche nicht hochgehalten, auf die doch bald seine Anhänger so stolz waren. Diese Form der Armut galt ihm nichts.
Und dieses neue Leben in äußerlichem Elend war ihm in der irdischen Ekstase im Augenblicke des recedente me ab ipsis[26], als ich von ihnen, d.h. den Leprosen, wich, überraschend zu Teil geworden – ohne sein Zutun, ohne seine willentliche Entscheidung. In den Zustand des neuen Lebens gelangt zu sein, verstand Franz daher auch nicht als sein Verdienst.
Poenitentia, Buße, nannte Franz seine neue Existenz. Sie galt ihm aber nicht als Mittel, um Schuld zu sühnen, um dadurch das Fegefeuer zu verkürzen oder gar ganz frei von den Sündenstrafen zu werden, so daß die Seele rascher in den Himmel einziehen konnte, sondern sie war das wahre und vollkommene Leben auf Erden selbst.
Das Gesetz der Bergpredigt war Franzens Richtschnur für das neue Leben. Aber er pervertierte dieses Gesetz nicht in einen Katalog von Verdienstmöglichkeiten, deren Zweck die Reduzierung von Fegefeuerstrafen war, sondern er verstand es als Beschreibung des irdischen Vollkommenseins. Denn die Mitteilung der bedingungslosen und d.h. meritorisch nicht erwerbbaren Liebe Gottes erfuhr er in feudalrechtlicher Gestalt als vom Herrn gnädig, d.h. ohne sein Zutun, gewährtes Feudum.[27]
In der feudalen Sprache bedeutete der Satz: Et Dominus dedit mihi talem fidem[28], und der Herr hat mir ein solches Feudalgut gegeben gerade nicht die Erteilung irgendeines subjektiven Vermögens, nämlich des subjektiven Glaubens, den Franz ja schon vor seinem conversum durch die Kirche vermittelt bekommen hatte, sondern einen gerade vom Empfänger unabhängigen Gegenstand. Der Satz meint, daß der Feudalherr seinem Gefolgsmann durch konkrete Zuwendungen die Treue erweist, ein Unterpfand feudalherrlicher Gunst gewährt.
Der göttliche Feudalherr, Altissimus, der Allerhöchste, entrichtete seine fides, seine Feudalgabe, seinem Vasallen Franz – u.a. in ecclesiis und in sacerdotibus[29], in Gestalt der Kirchengebäude und in Gestalt der römischen Priester.
Wozu aber gab ihm dieser Feudalherr eine solche fides, ein solches Feudum in Gestalt der Kirchen? Franz gab eine seine neue Lebensweise erklärende Antwort: ut ita simpliciter orarem et dicerem: Adoramus etc.[30], damit ich so einfältig betete und sagte: Wir beten Dich an usw. Sein Herr schenkte ihm als Erweis seiner feudalherrlichen Gunst die Kirchengebäude[31] auf der ganzen Erde als Orte, wo er einfältig beten konnte, wo er im Schutze seines Herren, nicht bedroht durch irgendwelche geistigen Feinde, sich der adoratio, der Anbetung, und benedictio, der Segnung, des Dominus, der ehrerbietigen Begrüßung und der lobvollen Segnung des Herrn Jesus Christus, widmen konnte, der durch sein heiliges Kreuz die ganze Erdenwelt losgekauft und damit vor dem Höllenfeuer bewahrt hat.
Die benedictio, die Segnung des Erlösergottes, des Dominus Jesus Christus, ist ein Wesensmerkmal der Liturgie des Franz. Gottesdienst ist Kräftigung jenes Herrn, der alle Menschen, offenbar ohne Ausnahme, aus der Sklaverei oder Kriegsgefangenschaft losgekauft und dadurch in Freiheit gesetzt hat.
Es gilt hier festzuhalten: Dieses Ereignis ist bereits geschehen und es ist ohne Bedingung geschehen; und eben wegen dieses bedingungslosen, bereits vollendeten Heilswerks, das von den Erlösten zur Erlösung keinerlei kirchlich-normierte Gesinnungen, Taten oder Gefühle abverlangte, das also deshalb reines Evangelium im strikten Sinne ist, wollte und konnte Franz schlicht liturgisch, ohne erst in die Innerlichkeit sich verflüchtigen zu müssen, um Moralisten und Intellektualisten zufriedenzustellen, diesem Befreierheld Dominus Jesus Christus seinen Respekt, seine Verehrung erweisen und ihm Segen spenden. Der göttliche Feudalherr hat seinem Lehnsmann Franz die Garantie dazu in Gestalt der Kirchengebäude gegeben, so daß er diesen Befreier ohne Furcht und Zweifel feiern konnte.
Eine andere Gestalt des neuen Lebens nach der forma evangelii, der Lebensregel des Evangeliums, das zweite spirituelle Lehen oder die andere fides, Feudalgabe, die Franz von seinem Dominus, seinem Feudalherrn, erhielt, bestand in sacerdotibus, in Gestalt der Priester.[32]
Der Allerhöchste gab ihm diese Priester, um zu gewährleisten, daß sein geistlicher Lehensmann den Filius Dei corporaliter, den Gottsohn mit seinen leiblichen und nicht etwa bloß geistlichen Augen, sehen konnte. Franz erhielt als Feudum die Priester, die nach der forma sanctae Ecclesiae Romanae, nach den Regeln der heiligen römischen Kirche leben, und wegen ihres ordo, ihrer römisch-katholischen Priesterweihe, den sanctissimum corpus, allerheiligsten Leib, und sanctissimus sanguis, allerheiligstes Blut, herstellen können. Da allein in den sanctissima mysteria, in den allerheiligsten Mysterien, der Filius Dei, der Gottsohn also, der den ganzen mundus, die weltlichen Menschen, losgekauft hat, in hoc saeculo, in diesem Weltalter, gesehen werden kann, wollte sich Franz diese Leute unter allen Umständen erhalten: denn Wirklichkeit erschloß sich Franz vornehmlich durch das corporaliter videre, durch physisches Sehen. Aus diesem handfesten Grunde zollte Franz den Priestern Gehorsam, nicht aber weil Gott oder sonst wer ihm Gehorsam gegenüber dem Klerus befohlen oder er sich dazu verpflichtet hätte. Diese Priester machten den Filius Dei, den Gottsohn, den sie in der Gestalt der Hostie auf die Erde brachten, ihn bei der Messe empfingen und an die Kommunikanten austeilten, sichtbar, nicht um Franz eine Gnade zu gewähren; sondern weil ihm sein persönlicher Lehnsherr diesen anscheinend recht verkommenen Priesterstand als fides[33], als Unterpfand seiner Gunst, als Feudalgut ohne Vorbedingung gewährt hatte.
In einem vierten Dominus dedit mihi de fratribus, der Herr gab mir über die Brüder, nennt Franz das Gesetz selbst, das vivere secundum formam sancti Evangeli[34], das Leben gemäß der Lebensregel des heiligen Evangeliums als Feudum. Es fällt auf, daß Franz hier den Altissimus, den Allerhöchsten, selbst als seinen Lehrmeister anführt. Denn allein dieser Altissimus war es, der ihm als weisungsberechtigter Feudalherr befahl, was er zu tun habe und der ihm in einer revelatio specialis, einer privaten Offenbarung, offenbarte, daß er nach dem conversum fuit mihi dem Gesetz der Bergpredigt gemäß leben solle.[35] Keine kirchliche Hierarchie, kein Lehramt, kein Priester oder katharischer perfectus, katharischer Vollkommener, oder ancianus, katharischer Guru, hat ihn angestoßen oder ihm den Weg gezeigt oder vorgeschrieben. Sache der Hierarchie, des Papstes, war es lediglich, die allein zwischen dem Altissimus, dem Allerhöchsten, und Franz ausgemachte Angelegenheit nachträglich zu konfirmieren.[36]
Das Verhältnis von Franz zur Kirche bestimmte sich dadurch, daß die römische Kirche samt ihrer Lehr-, Hirten- und Weihgewalt der von ihr völlig unabhängigen Privatbeziehung des allerhöchsten Feudalherren zu seinem Lehensmann streng unter- und zugeordnet war.
Theologisch betrachtet hat Franz das römische Meßopfer als fides, Feudalgabe, seines Altissimus Dominus, allerhöchsten Feudalherrn, verstanden, durch welche dieser ihm die visio corporalis, die leibliche Anschauung, des Filius Dei, des Gottsohnes, ermöglichte.[37]
Alle sanctissima mysteria, alle allerheiligsten Mysterien, will er super omnia, zuhöchst, alle geschriebenen göttlichen nomina, Namen, und verba, Worte, sowie alle theologos, Theologen und alle qui ministrant santissima verba divina, alle jene, welche die allerheiligsten und göttlichen Worte darreichen, die Prediger, will er verehren, denn sie versichern dem Menschen spiritum, den wahren Geist, und vitam, das wahre Leben.[38]
Alle diese Priester, Sakramente, alle diese heiligen Worte, all diese geistlichen Lehrer und Prediger, haben als Feudalgaben des Altissimus, des Allerhöchsten, Franz zu helfen, sein neues Leben gemäß der forma evangelii, der Lebensregel des Evangeliums zu erhalten und gestalten, und ganz besonders seinen irdischen Augen das Feudum ‚Priesterschaft‘ die visio beatifica[39], die leibhaftige und beseligende Schau des Filius Dei, des Gottsohnes in Gestalt der konsekrierten Hostie bereits auf Erden zu verschaffen. Darüber hinaus hatte dieses Feudum ‚Priesterschaft‘ ihm Gnadenmittel zur Verfügung zu stellen, damit er nicht la seconda morte, dem ewigen Tod, der Hölle, anheimfalle.
Die forma evangelii, die Lebensregel des Evangeliums, gab Franz Maßstäbe an die Hand, wie er auf dieser Erde ein Leben, das nicht mehr der Bitterkeit bedurfte und allein domina paupertas, Frau Armut, als seiner irdischen Herrin diente, mit laetitia, mit Freude[40], führen konnte. Irdische Armut war kein Mittel zum Heilserwerb, wie Thomas von Aquin, Waldenser und Katharer lehrten, sondern das irdische Heil und Glück selbst.
Die Kraft zu einem solchen Leben zog Franz ganz besonders aus dem sinnlichen und nicht bloß glaubenden Anschauen des Fronleichnams. Der Fronleichnam war die materielle Wirklichkeit Gottes, die nach katholischer Lehre der Sinn nicht erkennen kann, und der Katholik deshalb nur die Möglichkeit hat zu glauben, daß sich darunter die Gottheit verbirgt; und für die Katharer war Franzens sinnliche Schau Gottes ein blasphemischer Horror, war ihnen doch alles Sinnliche Produkt des bösen Gottes.
Während Thomas von Aquin im Sinne der Kirche lehrte: mors est poena peccati, der Tod ist Strafe für die Sünde[41] und die Katharer das Sterben für bloßen Körperwechsel oder gfs. Erlösung der Seele von Wiederverkörperung ansahen, verstand und erlebte Franz sein Sterben, la morte corporale, den ‚ersten‘ Tod, vielmehr als eine wunderbare Kreatur Gottes, als seine geliebte sora morte corporale, Schwester Leibestod, durch die der Altissimus wie durch all die anderen Geschöpfe, die der poverello im Sonnengsang nennt, gelobt und gepriesen wird.
Aber la morte seconda[42], der ewige Tod, der kein Geschöpf Gottes ist, durch den im Gegensatz zu morte corporale Gott nicht gelobt wird, der erbarmungslos die Menschen, die am Ende ihres Lebens in den peccata mortali[43], in Todsünden verblieben sind, ergreift und ins ewige Feuer wirft, dieser zweite Tod, kann den Menschen aber nichts anhaben, wenn sie sich in dem Zustand befinden, der dem göttlichen Willen entspricht: beati quelli ke troverà ne le tue sanctissme voluntati, selig sind jene, welche er (sc. der zweite Tod) in deinem allerheiligsten Willen findet, kar la morte secunda nol farrà male, weil der zweite Tod (ihnen) nichts Böses tun kann.[44] Er kann ihnen nichts antun, nicht weil sie etwa das neue Leben Franzens gelebt hätten, denn dies war nie eine Bedingung für das ewige Leben, sondern weil die Frommen durch den Empfang der kirchlichen Sakramente immun gegen den ewigen Tod werden.
Das Leben gemäß dem Evangelium, die Schau des Fronleichnams, des sichtbaren Filius Dei, und die geschwisterliche Liebe zu sora nostra morte corporale, unserer Schwester Leibestod, gehörten nach Franz allein in die Gestaltung des irdischen Lebens, und daher galten sie ihm nie als meritorisch kalkulierte Mittel zur Rettung vor dem ewigen Tod und zur Erlangung des ewigen Lebens.
Franz, der seine Kirche als sein vom Altissimus verliehenes Feudum in seine Religion kritisch integrierte und die katharische und waldensische Religion radikaler verwarf als die römische Kirche, ist zweifellos eine eigenständige Existenzalternative im Mittelalter gewesen. Sie führte seinen Zeitgenossen vor Augen, daß der Mensch auf dieser Erde sein wahres Glück erfahrt, so er denn das neue Leben in materieller Armut über Alles liebt, die beim Anblick des entstellten Antlitzes von Leprakranken die Lebensgier sättigende, d.h. erledigende Süße schmeckt, die Missachtung und Verfolgung durch die Welt als Seligkeit erlebt und das eigene Sterben als kostbares Geschöpf Gottes versteht, zugleich aber dieses neue Leben und Sterben, dieses höchste göttliche Schöpfungswerk, dem conversum mihi fuit überlässt, und nicht der Illusion anheimfällt, man solle oder könne gar diese neue Existenz sich selbst aufzwingen.
[1] Überarbeitete und erweiterte Fassung des Artikels Die Reformation des Franz von Assisi. Eine theologische Studie, in: Reformatio et reformationes, FS für Lothar Graf zu Dohna zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Andreas Mehl und Wolfgang Christian Schneider. Darmstadt 1989.
[2] Canticum fratris solis vel laudes creaturarum, in: François d’Assise: Écrits (Sources Chrétiennes No 285) Paris 1981 [= Canticum], S. 342
[3] Alle Übersetzungen vom Verf.
[4] Canticum, S. 344.
[5] Testamentum Sancti Francisci, in: François d’Assise: Écrits (Sources Chrétiennes No 285) Paris 1981 [= Testamentum], S. 204-211
[6] Im Rahmen seines neuen Lebens verstand er sich als imitator des armen Jesus Christus.
[7] Testamentum, S. 204.
[8] Leprakranke Assisis lebten u.a. im hospitale leprosorum de Arcis– der Leprosenanstalt St. Lazarus de Arcis, die in der Nähe von Assisi, nicht weit entfernt von seines Vaters Besitzungen, lag. Dieses Leprosorium war ein von den cives maiores, den Patriziern, und den cives minores, den Minderbürgern, der Stadt den Aussätzigen aus gesundheitspolizeilichen Gründen zugewiesene, reich ausgestattete und seelsorgerlich betreute Anstalt. Siehe dazu: Fortini, Arnaldo: Nova Vita di S. Francesco, Santa Maria degli Angeli Edizioni Assisi 1959, II, S. 257 ff. Allerdings sagt Franz nicht ausdrücklich, daß er in diesem Hospital gewesen ist; es könnte auch die Leprosenanstalt des Hospitalordens der Crucigeres, das ebenfalls auf dem Weg von Assisi nach Portiuncula lag, gewesen sein. Dieses Hospital erwähnt Franz einmal, aber in einem ganz anderen Zusammenhang [Vgl. François d’Assise: De vera et perfecta laetitia, in: Écrits (Sources Chrétiennes No 285) Paris 1981, S. 120 und 121 Anm. 2]. Da im Testament von einem Hospital nicht die Rede ist, könnte es sich auch so zugetragen haben, daß Franz lediglich einer Gruppe von Leprosen unterwegs begegnete und bei dieser Begegnung sein conversum fuit mihi erlebt habe. Doch war es gemäß den Statuten Assisis den Leprakranken strengstens untersagt, sich in Stadt und Umland, in den Dörfern und Kastellen, Assisis aufzuhalten; es bestand für die Leprakranken sozusagen Residenzpflicht in Hospitälern; übertraten die Kranken dieses Verbot, dann konnten sie als vogelfreie Übeltäter verjagt werden [Fortini, Arnaldo: Nova Vita di San Francesco, Santa Maria degli Angeli Edizioni Assisi 1959, I/1, S. 271 und II, S.261]. Von daher legt es sich nahe anzunehmen, daß sich die Konversion Franzens doch in einem Hospital zugetragen hat.
[9] Amaritudo – Bitterkeit ist Reaktion auf Ekel; sie wird erzeugt. um die durch einen Reiz ausgelöste Blockade der Aufnahmebereitschaft lebensnotwendiger Stoffe durch Appetit anregende Bitterstoffe zu kompensieren. Meist wird aber die Bitternis mit der von ihr bekämpften Reaktion auf einen Reiz identifiziert. Die zu überwindende Reaktion, um die es hier geht, ist der Ekel erregende Anblick. Thomas von Aquin dagegen führt amaritudo auf rancor – ranziger Geruch oder Geschmack, welcher Ekel erregt, zurück: Nam amaritudo … est quidam effectus rancoris – Denn Bitterkeit ist eine gewisse Wirkung ranzigen Geruchs, in: Sancti Thomae de Aquino Summa Theologiae, Alba-Roma 1962, II/Il Qu. 35 A. 4, p. l256a.
[10] Siehe die Beschreibung der Exklusionsliturgie bei Fortini, Arnaldo: Nova Vita di San Francesco, Santa Maria degli Angeli Edizioni Assisi 1959, I/1, S. 268-271
[11] Testamentum, S. 204
[12] Vgl. François d’Assise: De vera et perfecta laetitia, in: Écrits (Sources Chrétiennes No 285) Paris 1981, S. 118 ff., wo Franz die Freude ob der sozialen Ausgrenzung feiert und François d’Assise: Admonitiones 27.3. In: Écrits (Sources Chrétiennes No 285) Paris 1981, S. 114, wo er von der Freude über die befreiende Wirkung der Armut spricht.
[13] Canticum, S. 342 f.
[14] Canticum, S. 344
[15] Canticum, S. 344
[16] Leggenda perugina, in: Fonti Francescane. Assisi 1986, S. 847 f.: Ebbene, se la morte è imminente, chiamatemi i fratelli Angelo e Leonardo, affinchè mi cantino di sorella morte (it.).
[17] Im Testament z.B. sagt Franz über seine Gemeinschaft, daß ihr Besitz allein aus einer Tunika, innen und außen Flickwerk, mit Gürtel und Beinkleidern besteht. Er fährt dann fort: (17) Et nolebamus plus habere – Und wir wollten weiter nichts haben.
[18] Fr. Thomae de Celano, Vita Secunda S. Francisci. Caput LI: De compassione quam ad pauperes habuit, et qualiter se pauperioribus invidebat. In: http://www.franciscanos.net/fuentes/2celanolatin.htm
[19] Testamentum Senis factum, in: François d’Assise: Écrits (Sources Chrétiennes No 285) Paris 1981, S. 212
[20] François d’Assise: Salutatio virtutum, in: Écrits (Sources Chrétiennes No 285) Paris 1981, S. 272
[21] Vgl. Ultima voluntas S. Clarae scripta, in: François d’Assise: Écrits (Sources Chrétiennes No 285) Paris 1981, S. 214
[22] Siehe dazu meinen Artikel: Franz von Assisi und die Diakonie. In: Journal of Religious Culture Nr. 64 Nr: 64 (2003).
[23] Thomae a Celano Vita Secunda 84. In: http://www.paxetbonum.net/biographies/vita_seconda2_lat.html#b52
[24] Testamentum, S. 204
[25] Thomae a Celano Vita Secunda 52. In: http://www.paxetbonum.net/biographies/vita_seconda2_lat.html#b52
1 Alia suae praedicationis die quidam pauperculus et infirmus venit ad locum. 2 Cuius duplex incommodum miseratus, inopiam scilicet et languorem, coepit cum socio de paupertate habere sermonem. 3 Cumque patienti compatiens iam in affectum cordis illius transisset (cfr. Ps 72,7), dixit socius sancti ad eum: “Frater, verum est ipsum pauperem esse, sed forsitan in tota provincia non est ditior voluntate”. 4 Increpat eum illico sanctus, et culpam dicenti se dixit: “Festina cito, et exue te (cfr. Is 5,19; Bar 5,1) tunicam tuam, et ad pauperis pedes proiectus culpabilem te proclama! 5 Nec solum veniam poscas, immo eius orationem efflagita!”. 6 Paruit et ivit satisfacere et rediit. 7 Cui dixit sanctus: “Cum pauperem vides, o frater, speculum tibi proponitur Domini et pauperis Matris eius. 8 In infirmis similiter, infirmitates quas pro nobis (Mat 8,17; Is 53,4) assumpsit, considera!”
[26] Testamentum, S. 204
[27] Daß Franz den Erhalt eines Feudums, einer fides, als eine ihm von seinem Feudalherrn konzedierte gratia, Gnadengabe, verstand, wird z.B. auch in der Leggenda perugina, in: Fonti Francescane. Assisi 1986, S. 852 überliefert. Dort wird ein Beispiel von Franzens Demut, humilitas, gegeben. Als Franz von seinen Verehrern als Heiliger gefeiert wurde, erklärte er u.a., daß, wenn Gott einem Räuber oder einem Ungläubigen le grazie concesse a me – die Gnaden, die er mir erwiesen hat, gegeben hätte, wären diese sicherlich piu fideli di me al Signore- treuer dem Herrn gewesen. Die Feuda sind also Gnadengaben des Altissimus, seines Feudalherrn, seines bon signore, dem er die entsprechende Treue erweist – ein Leben auf der Erde unter der Herrschaft von Frau Armut zu führen.
[28] Testamentum, S. 204, 2.9. Fidem dare bedeutet formell sein Wort, seine Zusicherung für etwas geben. Im feudalrechtlichen Zusammenhang bedeutet die von Franz gebrauchte Formel fidem dedit mihi, dass sein Herr ihm bestimmte Feudalleistungen, die im Testament niedergelegt sind, zugesichert bzw. garantiert hat. Bei Niermeyer, J. F.: Mediae Latinitais Lexicon Minus, Leiden 1976, S. 424, findet sich eine Stelle, wo es heißt: Fidem dedit is, qui hominium fecerat, procuratori comitis – Das Wort hat der, welcher den Handgang vollzogen hatte, dem Prokurator des Grafen gegeben. Hier gibt ein Vasall dem Vertreter seines Grafen das Wort, d.h. er leistet den Feudaleid, gibt die Garantie bestimmte Feudalleistungen zu erbringen. Bei Franz wird umgekehrt die fides-Leistung, d.h. die beeidete konkrete Feudalabgabe vom Herrn dem Vasallen Franz zugesichert. Franzens fides-Leistung, d.h. seine Feudalabgabe, besteht in der laudatio, im Lob seines Herrn. Diese Feudalabgabe hat Franz in ihren Einzelteilen im sog. Sonnengesang niedergelegt. Fidem dare hat daher die materielle Bedeutung, eine bestimmte Leistung in einem Feudalverhältnis zu erbringen. Beide genannten Fälle sind Beispiele für das übliche reziproke Feudalverhältnis.
[29] Das feudalrechtliche Verständnis des dedit mihi talem fidem löst die grammatische Verlegenheit, die die anschließende Präposition in c.abl. bislang hervorrief und zu Fehlübertragungen führten. In den Schriften des heiligen Franziskus von Assisi, hg. von Hardick, L. und Grau, E. 1984, S. 217 heißt es bezüglich des fides-Feudums ‚Kirchen‘: Und der Herr gab mir in den Kirchen einen solchen Glauben; bezüglich der Priester aber: Danach gab und gibt mir der Herr einen so großen Glauben zu den Priestern. Der erste Satz wäre richtig, hätte der Übersetzer fides im oben genannten Sinne verstanden; der zweite Satz dagegen, der auch die lokative Deutung der Präposition nicht beachtet und dadurch schon im Widerspruch zum ersten Satz steht, ist gänzlich falsch. W. v.d. Steinen und Max Kirschstein: Franz von Assisi. Die Werke 1958, S. 35 übersetzen ebenfalls konsequent falsch: Und der Herr gab mir ein solches Vertrauen in die Kirchen bzw. und der Herr gab mir dann und gibt mir so großes Vertrauen in die Priester. In dieselbe Richtung geht letztendlich auch die Übersetzung der in Frage stehenden Texte von Johannes Schneider: „Und der Herr gab mir solchen Glauben“ (Test 41). Glaube als Erfahrung bei Franz von Assisi. In: Leonhard Lehmann (Hrsg.): Das Testament des hl. Franziskus 2003, S. 244; 247. Franzens feudalrechtliches fides-Verständnis ist aber von der rein subjektivistischen schon von Thomas von Aquin vertretenen fides-Vorstellung, nach der dann auch fidem dare nur subjektiven Glauben verleihen bedeutet, klar unterschieden. Auch macht die subjektive Deutung der Formel fidem dare für Franz schon deshalb keinen Sinn, weil er vor seinem conversum fuit mihi kein Ketzer, sondern ein gläubiger Katholik war.
[30] Testamentum, S. 204.
[31] Franz stand gerade auch mit seiner Ansicht, daß Kirchengebäude ein Feudalgut des Allerhöchsten seien, im radikalen Gegensatz zu Waldensern und Katharern. Die Waldenser nannten ein Kirchengebäude verächtlich stainhaus [Traktat des Passauer Anonymus über Waldenser. In: Quellen zur Geschichte der Waldenser. Hrsg. v. A. Patschowsky und K.V. Selge. 1973, S. 94 f.] und Katharer lehnten bekanntlich jegliche Sakralität in materieller Form ab. Die überragende Bedeutung, die Kirchengebäude für Franzens Religiosität besaßen, erkennt man auch daran, daß seine erste große Tat nach seinem conversum fuit mihi im Wiederaufbau des verfallenen Gebäudes der Kirche von St. Damian bestand. Die hl. Elisabeth, die spätere franziskanische Tertiarerin, war eine ebenso starke Liebhaberin ihres Burgkirchleins; stets war sie beim Spielen darauf aus, in das Kirchlein zu huschen, um dort Gebete zu sprechen. Ihre Spielkameradinnen versuchte Elisabeth beim Spiel in Richtung Kapelle zu treiben, um dann zumindest die Mauern berühren zu können. Der heilige Raum war für Franz und Elisabeth die eigentliche Behausung auf Erden, wo sie gewiß waren, mit ihrem Herrn auf sinnliche Weise zusammen sein zu können [Siehe die Zeugenaussage von Guda, virgo religiosa. In: Quellenstudien zur Geschichte der hl. Elisabeth Landgräfin von Thüringen. Von Dr. Albert Huyskens. Marburg 1908, S. 112].
[32] Testamentum, S. 204
[33] In der feudalen Terminologie kann so die Konkretion der fides in einem Feudalverhältnis selbst bezeichnet werden. Fides bedeutet u.a. the promise to safeguard a person [Niermeyer, J. F.: Mediae Latinitais Lexicon Minus, Leiden 1976, S. 424 b Nr.4]; d.h. die Priester sind Franz zu seiner existenziellen Sicherheit versprochen, d.h. als Feudalgut zuerkannt worden.
[34] Testamentum, S. 206. Dominus dedit mihi de fratribus kann m.E. nicht heißen: der Herr hat Franz Brüder gegeben [Testamentum, S. 206, Hardick, L. und Grau, E.: Schriften des heiligen Franziskus von Assisi, 1984, S. 216; W. v. d. Steinen und Max Kirschstein: Franz von Assisi. Die Werke 1958, S. 35]. Grammatikalisch und sachlich glatter wäre doch zu übersetzen: Und dann hat mir der Herr über die Brüder. d.h. betreffs derselben, gegeben, d.h. verordnet, nämlich. daß und wie Franz secundum formam evangelii leben solle. Sein Leben gemäß der forma evangelii war ihm nur in der Weise der Gesellschaft denkbar.
[35] Testamentum, S. 206: Et postquam Dominus dedit mihi de fratribus, nemo ostendebat mihi, quid deberem facere, sed ipse Altissimus revelavit mihi, qoud deberem vivere secundum formam sancti Evangelii. – Und nachher (sc. nach dem conversum fuit mihi) gab mir der Herr über die Brüder, niemand hat es mir gezeigt, was ich machen sollte, sondern er selbst, der Allerhöchste, hat mir offenbart, dass ich gemäß der Lebensregel des heiligen Evangeliuns leben solle.
[36] Testamentum, S. 206: et dominus Papa confirmavit mihi (die aufgeschriebene forma Evangelii).
[37] Testamentum, S. 206
[38] Testamentum, S. 206
[39] Diese glückselige Schau Gottes ist nach katholischer Lehre dem natürlichen Auge nicht möglich. Der Mensch kann nach Thomas von Aquin die essentia Dei, Gott in seinem Wesen, nicht mit körperlichen Sinnen, auch nicht mit körperlichen Augen sehen. In seinem Gesang Pangue lingua gloriosa hat Thomas dies poetisch so ausgedrückt: 4. Verbum caro, panem verum verbo carnem efficit: fitque sanguis Christi merum, et si sensus deficit, ad firmandum cor sincerum sola fides sufficit – 4. Und das Wort, das Fleisch geworden, schafft durch Wort aus Brot und Wein Fleisch und Blut zur Opferspeise, sieht es auch der Sinn nicht ein. Es genügt dem reinen Herzen, was ihm sagt der Glaub allein.
[In: de.wikipedia.org/wiki/Pange_lingua#Text_und_.C3.9]. Der vom Priester in Brot und Wein transsubstantiierte Gottsohn kann mit den Sinnen, den Augen, nicht gesehen, sondern nur geglaubt werden. – In dem Artikel Utrum essentia Dei videri possit oculo corporali; Ob das Wesen Gottes mit körperlichen Augen gesehen werden kann heißt es: impossibile est Deum videre sensu visus, vel quocumque alio sensu; es ist unmöglich, Gott mit dem Sehsinn zu sehen, oder mit irgendeinem anderen Sinn (wahrzunehmen) [Sancti Thomae de Aquino Summa Theologiae I, Qu. 12, A. 3, p. 51a]. Doch ist die glückselige Schau Gottes – auch im Himmel – nur mit dem intellectus, der nach Thomas keine Tätigkeit irgendeines Körperorgans ist [I, Qu. 12, A. 5, p. 53b] möglich. Aber selbst der natürliche intellectus vermag Gott auch im Himmel nicht zu schauen: Cum igitur virtus naturalis intellectus creati non sufficiat ad Dei essentiam videndam…, impossibile est ut aliquis intellectus creatus per sua naturalia essentiam Dei videat; da also die natürliche Kraft des geschaffenen intellectus nicht ausreicht, Gott in seinem Wesen zu schauen, ist es unmöglich, daß irgendein geschaffener intellectus mit seinen natürlichen Fähigkeiten Gott in seinem Wesen sähe [I, Qu. 12, A. 3, p. 53b]. Um Gott – auch im Himmel – mit dem intellectus sehen zu könne, oportet quod ex divina gratia superaccrescat ei virtus intelligendi; ist es notwendig, daß ihr (der natürlichen Erkenntniskraft) zusätzlich durch göttliche Gnade die Kraft der Erkenntnis (des Wesens Gottes) hinzuwächst. Et hoc augmentum virtutis intellectivae illuminationem intellectus vocamus; und diese Vergrößerung nennen wir Erleuchtung des intellectus [I, Qu. 12, A. 3, p. 53].
Im 14. Jahrhundert hat dann Papst Benedikt XII. in seiner Konstitution ‚Benedictus Deus‘ vom 29.1.1336 [In. Denzinger, H.J. et al.: Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Freiburg i.Br. 1911; 1000 530 (Visio Dei beatifica)] endgültig die Bedeutungslosigkeit des Leibes für die Schau und den Genuß Gottes in geradezu katharischer Weise statuiert: … ac post Domini Jesu Christi passionem et mortem viderunt et vident divinam essentiam visione intuitiva et etiam faciali, nulla mediante creatura in ratione obiecti visi se habente, sed divina essentia immediate se nude, clare et aperte eis ostendente, quodque sic videntes eadem divina essentia perfruuntur, necnon quod ex tali visione et fruitione eorum animae, qui iam decesserunt, sunt vere beatae et habent vitam et requiem aeternam, et etiam (animae) illorum, qui postea dece-dent, eandem divinam videbunt essentiam ipsaque perfruentur ante iudicium generale. Und nach des Herrn Jesu Christi Passion und Tod werden sie (sc. die geretteten Seelen im Himmel) die göttliche Wesenheit (essentia) in einer intuitiven Schau (visio) und einer solchen von Angesicht zu Angesicht sehen, ohne eine Vermittlung einer Kreatur (sc. des Leibes) im Hinblick auf das gesehene Objekt, sondern die göttliche Wesenheit zeigt sich ihnen unvermittelt, nackt und offen, und die (sie) sehen genießen die göttliche Wesenheit; und ferner, daß auf Grund solchen Schauens (visio) und Genießens die Seelen derer, die schon gestorben sind, wahrhaft selig (beatae) sind und ewiges Leben und (ewige) Ruhe haben, und ebenso werden die (Seelen) jener, welche hernach sterben, dieselbe göttliche Wesenheit sehen (videbant) und dieselbe genießen – (und zwar) vor dem Jüngsten Gericht.
[40] Ubi est paupertas cum laetitia, ibi nec cupiditas nec avaritia – Wo Armut mit Freude zusammen ist, da gibt es weder Leidenschaft noch Habgier. In: François d’Assise: Admonitiones 27.3. In: Écrits (Sources Chrétiennes No 285) Paris 1981, S. 114
[41] Sancti Thomae de Aquino Summa Theologiae, Alba-Roma 1962, I/II Qu. 85 A. 6, p. 920b
[42] Canticum, S. 344
[43] Canticum, S. 344
[44] Canticum, S. 344
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